Arche Noah: EU-Saatgutrecht: Industrie-Angriff auf Vielfalt großteils abgewehrt

Am 24. April 2024 stimmte das Plenum des EU-Parlaments in Straßburg über das neue EU-Saatgutrecht ab. ARCHE NOAH betrachtet den Beschluss über neue Vorschriften für die Produktion und das Inverkehrbringen von Saatgut und sonstigem Pflanzenvermehrungsmaterial mit gemischten Gefühlen. Trotz des aggressiven Lobbyings seitens der Saatgut-Industrie und ihrer Interessensvertretung Euroseeds in den letzten Tagen, hat eine Mehrheit der EU-Abgeordneten die konstruktive Vorlage des Agrarausschusses in fast allen Punkten unterstützt. Der Beschluss des EU-Parlaments sichert die uralte Tradition und das Recht von Bäuer:innen ab, ihr eigenes Vermehrungsmaterial in kleinen Mengen untereinander entgeltlich und unentgeltlich tauschen zu können – eine Praxis, die seit Generationen praktiziert wird und die die Resilienz und Unabhängigkeit in der Landwirtschaft stärkt. Zudem gewährt der Beschluss Bäuer:innen weiterhin den Zugang zu traditionellen Sorten wie beispielsweise der alten Paradeiser-Sorte „Rotes Herz“, zur Steinfelder Tellerlinse, zur Laaer Zwiebel oder zum Laufener Landweizen. Der Beschluss befreit die Landwirt:innen genauso wie die Erhaltungsinitiativen von neuen bürokratischen Vorschriften. Alle diese Punkte im Bericht von Herbert Dorfmann, dem Berichterstatter im zuständigen EU-Landwirtschaftsausschuss, hat die Saatgut-Industrie massiv bekämpft. Trotzdem fanden sie letztendlich Unterstützung der Sozialdemokraten, der Grünen und Linken sowie von Teilen der Europäischen Volkspartei und der liberalen Fraktion Renew.

In einem für die Rettung traditioneller und lokaler Sorten wesentlichen Punkt hat sich jedoch die Industrie-Lobby durchgesetzt. Die Weitergabe gefährdeter Sorten zum Zweck ihrer Erhaltung hätte vom Geltungsbereich des Saatgutrechts ausgenommen werden sollen. Diese Möglichkeit wurde heute stark eingeschränkt. Nur etablierte Erhaltungsorganisationen dürfen zukünftig von dieser Ausnahme Gebrauch machen. „Viele Akteur:innen in Europa tragen zur Rettung der Sortenvielfalt bei, unter anderem lokale Saatgutproduzent:innen, einzelne Bäuer:innen, aber auch öffentliche Initiativen wie Saatgut-Bibliotheken“, sagt Magdalena Prieler, Saatgutrechts-Expertin bei ARCHE NOAH. „Der heutige Beschluss verabsäumte es, für diese für die Gesellschaft so wichtigen Leistungen einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen. Das ist enttäuschend und inakzeptabel.“ Die Industrie hat behauptet, dass diese Ausnahme zu „unkontrollierten Parallelmärkten“ führen würde. In der Realität ging es um die Weitergabe von Kleinstmengen, zum Beispiel 500 Gramm Gemüse-Saatgut pro Jahr. „Die Industrie hat mit Panikmache und falschen Argumenten die EU-Abgeordneten dazu gebracht, die Empfehlung des Fachausschusses abzulehnen. Diversifizierung und Vielfalt auf dem Acker sind das effektivste Werkzeug, um die negativen Auswirkungen der Klimakrise in der Landwirtschaft wie extreme Wetterbedingungen oder neue Krankheiten und Schädlinge zu lindern.“

ARCHE NOAH und andere Saatgut-Initiativen aus ganz Europa haben in den letzten Tagen EU-Abgeordnete kontaktiert, um über die Bedrohung für die Vielfalt zu informieren und das bäuerliche Recht auf Saatgut einzufordern. Diese Arbeit geht nach der Abstimmung weiter: Der Beschluss bildet nun die Grundlage für die Verhandlungen des EU-Parlaments im Trilog mit der EU-Kommission und dem Rat der Landwirtschafts-Minister:innen über den endgültigen Gesetzestext. Die Verhandlungen werden voraussichtlich erst Ende 2024 beginnen. Ein Fortschrittsbericht der belgischen Ratspräsidentschaft und eine Diskussion der EU-Landwirtschafts-Minister:innen ist für das letzte Ratstreffen vor der Sommerpause, am 24. und 25. Juni 2024, geplant.

EU-Saatgutrecht: Industrie-Angriff auf Vielfalt großteils abgewehrt