Deutscher Naturschutzring: Die internationale Bioökonomie-Politik braucht eine Wende

Ingrid Jacobsen, Josephine Koch und Stig Tanzmann meinen: Das Konzept der Bioökonomie steht vor fundamentalen Widersprüchen. Die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Weltklima werden immer offensichtlicher. Die Menschheit muss sich aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern befreien, denn deren Verbrennung ist die Hauptursache des Klimawandels, der wiederum massiv das Artensterben beschleunigt. Das gilt für die Energieversorgung genauso wie für den Ersatz von Plastik und anderen erdölbasierten Materialien. Unsere Ökonomie soll daher in großen Teilen auf „Bio“ umgestellt werden, das heißt, nachwachsende statt fossile Rohstoffe zu nutzen. Gleichzeitig soll durch die Bioökonomie die Hungerkrise entschärft und Ernährungssicherheit weltweit erreicht werden. Das hört sich gut an, und tatsächlich birgt die Bioökonomie im Kern große Potentiale. Die Herausforderungen, vor denen das Konzept Bioökonomie steht, haben allerdings noch zugenommen, seitdem es vor 10 Jahren prominent auf dem Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) verhandelt wurde. So ist das Ziel, bis 2030 eine Welt ohne Hunger zu erreichen, in weite Ferne gerückt. Nach Erfolgen in der Hungerbekämpfung steigt die Anzahl der hungernden Menschen seit 2016 wieder an. Das Jahr 2024 war weltweit das wärmste Jahr seit dem Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Die Konsequenzen sind zunehmende Wasserknappheit, Dürren und Extremwetterereignisse, die ganze Regionen verwüsten. Artenschwund und der Biodiversitätsverlust nehmen ungekannte Ausmaße an. Zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten sind vom Aussterben bedroht. 

Problematische Auswirkungen des ungesteuerten Biomasseanbaus

Immer mehr Länder der EU und darüber hinaus haben eigene Bioökonomie-Strategien verabschiedet, um die Entwicklung einer Wirtschaft, die auf biologischen Ressourcen basiert, voranzutreiben. Die Umstellung unserer Ökonomien auf nachwachsende Ressourcen ist jedoch komplex. Biomasse spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie wird zur Produktion von Biogas, Biodiesel oder Bioethanol als alternative Energiequellen genutzt. Sie soll zudem fossile Rohstoffe in der Herstellung von Biokunststoffen, Verpackungen und Baustoffen ersetzen und als Nahrungsmittel oder für die Erzeugung von Futtermitteln eingesetzt werden. Auch die chemische Industrie will Biomasse zur Herstellung von Grundchemikalien, Lösungsmitteln und Additiven verwenden. So müssten ungeheure Mengen an Biomasse produziert werden, um den deutschen Lebensstandard auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Die lokalen Ökosysteme, aus denen diese Biomasse entnommen werden soll, sind jedoch schon heute dramatisch übernutzt. Der Klimawandel und notwendige Maßnahmen zum Biodiversitätserhalt schränken die Möglichkeit, Biomasse nachhaltig zu nutzen, zusätzlich stark ein.

Langfristige Schäden und verdrängte Nahrungsmittelproduktion

Biomasse muss schnell wachsen, leicht zu ernten und zu verarbeiten sein. Deswegen wird sie sehr häufig durch schnell wachsende Pflanzen in Plantagenwirtschaft mit Hilfe von genmanipuliertem Saatgut und unter Einsatz von großen Dünger- und Pestizidmengen hergestellt, die verheerende Auswirkungen auf Biodiversität und Vielfalt der Nahrungsmittelproduktion haben. Fruchtbares Ackerland, welches zur industriellen Herstellung von Biomasse genutzt wird, ist aufgrund der Verseuchung des lokalen Grundwassers mit Pflanzengiften und der Auslaugung der Böden oft auf Jahre hinaus für die Nahrungsmittelproduktion unbrauchbar. So steht der bisher ungesteuerte Biomasseanbau auf unterschiedlichen Ebenen in starker Konkurrenz zu der Nahrungsmittelproduktion und der Existenz kleinbäuerlicher Betriebe. 

Leidtragende sind Menschen im Globalen Süden, einzige Profiteure oft Großkonzerne

Viele Projekte zur Herstellung von Biomasse für die bioökonomische Nutzung im Globalen Norden werden in fragilen oder autokratischen Staaten, die die Rechte der Zivilgesellschaft unterdrücken, durchgeführt. Beispiele sind die DR Kongo, Sierra Leone oder El Salvador. Projekte, die im Auftrag des Globalen Nordens durchgeführt werden, unterliegen zumindest auf dem Papier hohen menschenrechtlichen Standards, um die notwendigen Finanzierungen und Genehmigungen in bilateralen Verhandlungen zu bekommen. In fragilen Staaten fehlen jedoch meist die institutionellen Voraussetzungen, um diese Standards tatsächlich einhalten zu können. Es kommt immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Die mangelhafte Durchsetzung von verbindlichen Mindeststandards zur Sicherung von Menschenrechten und sozial-ökologischen Belangen beim Biomasseanbau sowie einem fairen Handel mit Biomasse führt dazu, dass vor allem große Agrarkonzerne und lokale Machteliten von der Bioökonomie-Politik profitieren. 

Bioökonomie in die globale Governance-Struktur einbetten

Widersprüche innerhalb der Nutzung bioökonomischer Konzepte können nur aufgelöst werden, indem die von Hunger und Mangelernährung betroffenen Menschen an den Entscheidungen beteiligt werden, wenn es zur bioökonomischen Nutzung von Lebensmitteln oder Flächen kommt. Hier ist der UN-Welternährungsausschuss (CFS) das wegweisende Positivbeispiel. Die Bioökonomie braucht eine globale Governance-Struktur aufbauend auf dem CFS, damit die Betroffenen sich selbstorganisiert in die Entscheidungsprozesse einbringen können, in welcher Form und was bioökonomisch genutzt werden kann. 

Herausforderungen zum Schutz von Biodiversität, Klima und Böden angehen

Im mehrjährigen Arbeitsprogramm des CFS konnte ein Arbeitsstrang etabliert werden, der nicht nur für eine bessere Koordinierung im Falle von Ernährungskrisen und zur allgemeinen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung sorgt, sondern auch zu einem verstärkten Austausch zwischen CFS und den drei Rio Konventionen zu Biodiversität (CBD), Klima (UNFCCC) und Wüsten (UNCCD) führt. Um den multiplen Krisen adäquat zu begegnen, sind mehr Verknüpfungen dieser Art notwendig. Die Bioökonomie sollte einen multilateralen Rahmen in den UN-Institutionen erhalten, damit die genannten Ansätze zur Überwindung ihrer Widersprüche genau dort diskutiert und aufgelöst werden können wo betroffenen Menschen bzw. deren Vertreter:innen eine inklusive Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglicht ist.

Nationale Bioökonomiestrategien anpassen

Daneben müssen auch die einzelnen Staaten ihre Bioökonomiepolitik ändern, damit die Bioökonomie keine Scheinlösung im grünen Gewand bleibt und einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ohne die Nahrungsmittelproduktion und die biologische Vielfalt zu gefährden. Ein Lichtblick ist die Abschlusserklärung des diesjährigen GFFA in Berlin, die von den Agrarminister:innen aus über 60 Staaten verabschiedet wurde. Sie hat starke Bezüge auf das Recht auf Nahrung und die Beschlüsse des CFS sowie Verbindungen zu Agrarökologie und Kreislaufwirtschaft. Auch die an die Agrarminister:innen des GFFA übergebene bäuerliche Protestnote zeigt, wie Bioökonomie anders gedacht werden kann.

 

Die internationale Bioökonomie-Politik braucht eine Wende