Deutscher Naturschutzring: EUDR - Risikobewertung und Vereinfachung sorgen für Kritik
Katharina Schuster vom Deutschen Naturschutzring analysiert: Die EU hat sich mit der Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) ambitionierte Ziele gesetzt: Produkte wie Soja, Kaffee, Palmöl, Kakao oder Rindfleisch sollen nur dann in der EU gehandelt werden dürfen, wenn sie nicht zur Entwaldung beitragen. Doch ausgerechnet bei der zentralen Frage, wie hoch das Risiko für Entwaldung in den jeweiligen Herkunftsländern ist, droht der Verordnung nun die Entschärfung durch die Hintertür. In einem geheimen Ausschussvotum haben die EU-Mitgliedstaaten Anfang Mai dem Vorschlag der Kommission zugestimmt, lediglich vier Staaten in die Hochrisikokategorie aufzunehmen: Belarus, Myanmar, Nordkorea und Russland. Alle anderen Länder, darunter große Agrarexporteure wie Brasilien, Indonesien oder Paraguay, gelten demnach als „Standardrisiko”. Für EU-Staaten selbst wurde pauschal der Status „Niedrigrisiko” vergeben – ungeachtet regionaler Unterschiede oder bestehender Umweltkonflikte. Diese pauschale Kategorisierung steht aus Sicht von Umweltorganisationen im Widerspruch zu den Zielen der Verordnung. „Nur sanktionierte Regime mit katastrophalen Menschenrechtsbilanzen als Hochrisikostaaten zu deklarieren, untergräbt den Anspruch der EUDR, globale Entwaldung effektiv zu bekämpfen”, kritisiert Nicole Polsterer von der Waldschutzorganisation FERN. Sie fordert, dass Risikoeinstufungen die realen Entwaldungs- und Menschenrechtsrisiken widerspiegeln und nicht nur geopolitisch motiviert sein dürfen. Auch Giulia Bondi von Global Witness betont, dass etwa Brasilien oder Paraguay nachweislich Waldverlust verzeichnen – trotzdem müssten sie keine erhöhten Sorgfaltspflichten erfüllen. Bereits im Januar hatten über 40 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen die Kommission in einem offenen Brief aufgefordert, die Risikobewertung an realen Entwaldungs- und Menschenrechtsrisiken auszurichten – und nicht lediglich an geopolitischen Erwägungen oder Sanktionslisten. Der Appell blieb offenbar ungehört.
Für zusätzliche Irritation sorgt die Tatsache, dass die EU-Kommission das Abstimmungsergebnis zur Länderrisikoeinstufung bislang nicht veröffentlicht hat. Entgegen der üblichen Praxis, Ergebnisse von Ausschusssitzungen zeitnah zugänglich zu machen, soll das Votum erst mit Verabschiedung des entsprechenden Durchführungsakts offiziell bekannt gegeben werden. Dieses Maß an Geheimhaltung nährt den Verdacht, dass hier politisch sensible Entscheidungen möglichst geräuschlos durchgewunken werden sollen. Zeitgleich hat die Kommission eine Reihe von Vereinfachungsmaßnahmen vorgestellt, die den bürokratischen Aufwand für Unternehmen verringern sollen. Die Vereinfachung von Berichtspflichten, jährliche statt chargenweise Sorgfaltserklärungen und eine niedrig angesetzte Risikoeinstufung sollen den Verwaltungsaufwand um bis zu 30 Prozent senken. „Wir wollen die Umsetzung der EUDR so unbürokratisch wie möglich gestalten, ohne ihre Ziele zu gefährden”, betont Umweltkommissarin Jessika Roswall. Doch Umweltverbände warnen: Diese „Entbürokratisierung” droht zulasten der Glaubwürdigkeit der Verordnung zu gehen. Nicole Polsterer sieht darin eine riskante Abkehr vom ursprünglichen Anspruch: „Die Kommission hat dem Druck konservativer Kräfte und Wirtschaftsverbände nachgegeben und schwächt damit die Substanz der EUDR erheblich.” wird sie von ENDS Europe zitiert.
Waldschädigung und Menschenrechtsfragen können auch in Europa nicht flächendeckend ausgeschlossen werden
Kritik kommt indes nicht nur von Umweltorganisationen. Auch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände übt scharfe Kritik am Vorgehen der Kommission. Allerdings aus gegenteiliger Perspektive: Die EUDR sei ein „bürokratischer Bumerang”, der vor allem heimische Waldbesitzer belaste, ohne globalen Waldschutz zu fördern. Der Verband fordert wie andere deutsche Agrarverbände und Waldeigentümervertreter:innen eine „Null-Risiko-Kategorie” für Länder wie Deutschland, in denen angeblich keine Entwaldung stattfinde. Dabei blenden die Lobbyverbände aus, dass die EUDR nicht nur auf Flächenverlust zielt, sondern auch auf Waldschädigung und Menschenrechtsfragen – Aspekte, die auch in Europa nicht flächendeckend ausgeschlossen werden können. Tatsächlich wurden Deutschland und alle anderen EU-Staaten pauschal als Niedrigrisiko-Länder eingestuft, genauso wie Länder wie die USA oder China. Die EUDR ist ein Meilenstein im Kampf gegen globale Entwaldung. Doch ihre Wirksamkeit hängt entscheidend davon ab, ob die zugrunde liegenden Risikoeinstufungen auf realen Entwaldungsdaten beruhen oder auf geopolitischem Kalkül. Eine rein symbolische Hochrisikoliste hilft weder bedrohten Wäldern noch der Glaubwürdigkeit europäischer Umweltpolitik. Die Benchmarking-Liste muss regelmäßig auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisiert und um Länder mit dokumentierten Entwaldungsrisiken ergänzt werden. Statt die Verordnung weiter zu entkernen, braucht es nun einen Kurswechsel: ambitionierte Umsetzung, aufrichtige Risikobewertung und politische Konsequenz. Nur so kann die EUDR ihrem eigenen Anspruch gerecht werden, Europas Konsum entwaldungsfrei zu machen.