Deutscher Naturschutzring: Frustrierende Kompromisse bei Industrieemissionen
EU-Parlament und EU-Ministerrat haben sich am 29. November auf die überarbeitete Industrieemissionsrichtlinie (IED) und die Etablierung eines Industrieemissionsportals (IEP) geeinigt. Dafür wird das bisherige Europäische Register zur Erfassung der Freisetzung und Verbringung von Schadstoffen (E-PRTR) umgewandelt. Das IEP soll den Bürger:innen Zugang zu Daten über alle EU-Genehmigungen und lokale Verschmutzungstätigkeiten bieten. Nach Angaben der EU-Kommission werden die Vorschriften für die Gewährung von Ausnahmeregelungen zum weiteren Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit verschärft. Ein neues Innovationszentrum für industrielle Transformation und Emissionen (INCITE) soll der Industrie dabei helfen, Lösungen zur Verminderung der Umweltverschmutzung und transformative Technologien zu finden. Betreiber von Industrieanlagen sollen von „flexiblen Genehmigungen zur Umsetzung tiefgreifender Transformationstechniken profitieren“ und müssen dafür Transformationspläne entwickeln, um die Null-Schadstoff-Ziele der EU bis 2050, Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung zu erreichen. Unternehmen, die die Vorschriften nicht einhalten, müssen mit Strafen in Höhe von mindestens drei Prozent ihres Jahresumsatzes in der EU rechnen.
Neu ist, dass sich die IED künftig auf mehr Anlagen erstrecken wird als bisher. Dazu gehören großflächige Intensivtierhaltungsbetriebe, allerdings nur Schweine- und Geflügelhaltungsbetriebe. Rinderhaltungsbetriebe sind von der neuen IED ausgenommen, sollen aber bis zum 31. Dezember 2026 einer Neubewertung unterzogen werden, ob Emissionsreduktionen notwendig sind. Tierhaltungsbetriebe unterliegen insgesamt weniger strengen Genehmigungsregelungen als komplexe Industrieanlangen. Da die Gewinnung von Metallen und großmaßstäbliche Herstellung von Batterien in der EU für den grünen und digitalen Wandel erheblich ausgeweitet werden, soll die überarbeitete IED „das nachhaltige Wachstum dieser Tätigkeiten in der EU unterstützen und so zu den Zielen der Rechtsakte über kritische Rohstoffe und Netto-Null-Industrie beitragen“, so die EU-Kommission.
Die Brüsseler Behörde begrüßte das Ergebnis. Maroš Šefčovič, Exekutiv-Vizepräsident der Kommission für den europäischen Grünen Deal, sagte: „Die modernisierten Emissionsvorschriften werden den ökologischen Wandel fördern und unterstützen.“ Wenn die überarbeitete Richtlinie über Industrieemissionen und die neue Verordnung über das Industrieemissionsportal von Parlament und Rat förmlich angenommen und im Amtsblatt erschienen ist, tritt sie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Dann haben die Mitgliedstaaten 22 Monate Zeit, um die neuen Vorschriften umzusetzen.
Das Europäische Umweltbüro (EEB), das Klimaaktionsnetzwerk CAN Europe und ClientEarth bezeichneten das Ergebnis der Einigung als „frustrierend“. Mit der neuen IED werde der „umweltschädliche Status quo aufrechterhalten“. Die Vorschriften für mehr als 50.000 Industrieanlagen in Europa würden den Zielen des Green Deal nicht gerecht. Statt die Bevölkerung zu schützen, würden die Verursacher geschont: „Die Ausklammerung industrieller Viehzuchtbetriebe aus dem Geltungsbereich, die jahrzehntelangen Verzögerungen bei der Umgestaltung der Industrie und der fehlende Schutz der von illegaler Verschmutzung betroffenen Menschen untergraben das Potenzial“. Es sei „inakzeptabel“, dass Gesetze über die Transformation der Schwerindustrie weiterhin nicht die notwendige Verknüpfung von Klima, Ressourcen und Umweltverschmutzung herstellen. Die Verschmutzung durch industrielle Aktivitäten koste wegen der Gesundheitsschäden Milliarden. Aber Kompromisse schwächten nun das Entschädigungsrecht: Vor allem schutzbedürftige Opfer, die an Krebs oder Herzkrankheiten leiden, könnten sich in komplexen Gerichtsverfahren nicht von Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten lassen. Gleichzeitig sei die neue IED ein Rückschritt bei den Vorschriften für die industrielle Schweine- und Geflügelhaltung, da entscheidende Elemente wie Genehmigungs- und Meldesysteme, Mindestinspektionshäufigkeiten oder die Überwachung des Wasser- und Bodenschutzes ausgeschlossen seien, kritisierten die Organisationen. Konkrete Maßnahmen zur Verringerung von Ammoniak und Methan sowie zur ordnungsgemäßen Gülleentsorgung in der Schweine- und Geflügelhaltung würden erst nach 2030 in Kraft treten. Greenpeace kritisierte ebenso, dass die größten Viehzuchtbetriebe und die Rinderhaltung ausgenommen und mit einem „Freifahrtsschein für Verschmutzung“ ausgestattet worden sind. Die Umweltorganisation Zero Waste begrüßte die IED-Neuerung, die eine obligatorische Überwachung der Dioxinemissionen von Abfallverbrennungsanlagen und Mitverbrennungsanlagen während der gesamten Betriebszeiten vorschreibt. Damit werde „endlich, zumindest teilweise, eine wichtige Genehmigungs- und Überwachungslücke geschlossen“, die sich auf die Dioxinüberwachung in der besonders kritischen An- und Abfahrphase beziehe. Ein einziger Kaltstart könne nämlich mehr giftige Stoffe erzeugen als ein mehrmonatiger Normalbetrieb.
Sowohl Rat als auch Parlament hatten den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission vom April 2022 abgeschwächt.