Dramatischer Rückgang der Wildtier-Bestände

18. Sept 20

Laut dem neuen Living Planet Report der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) sind die weltweit untersuchten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen im Schnitt um durchschnittlich 68 Prozenteingebrochen. Der Living-Planet-Index beruht auf Daten von 4.392 Arten und 20.811 Wirbeltier-Populationen. In den am stärksten betroffenen Süßwasser-Lebensräumen haben die untersuchten Bestände sogar einen Verlust von im Schnitt 84 Prozent erlitten. Zum Vergleich: Im ersten Living Planet Report lag der ermittelte Rückgang noch bei 30 Prozent für den Zeitraum 1970 bis 1995. In seiner 13. Auflage fällt somit das Barometer des Living-Planet-Berichts auf einen neuen Tiefstand.

"Unsere Natur wird rücksichtslos ausgebeutet und zerstört, obwohl sie absolut systemrelevant ist“, warnt Georg Scattolin, Leiter des internationalen Programms beim WWF Österreich. „Das schadet nicht nur unzähligen Tieren, sondern auch unseren eigenen Lebensgrundlagen. Denn die Ernährungssicherheit und Gesundheit von Milliarden Menschen hängt direkt von intakten Ökosystemen ab. Werden sie weiter vernichtet, steigt auch die Wahrscheinlichkeit künftiger Pandemien.“

Die Zerstörung und Übernutzung von Lebensräumen, die Entwaldung, der illegale Wildtierhandel und die Wilderei zählen laut dem WWF-Report zu den wesentlichen Treibern des Negativtrends. Auch die menschgemachte Klimakrise spielt dabei eine wesentliche Rolle. Daher fordert der WWF einen grundlegenden Systemwechsel, um den systematischen Raubbau zu stoppen und innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften. „Wäre der Living-Planet-Index an der Börse, würde die größte Panik aller Zeiten ausbrechen. Sofort-Hilfe-Pakete der Politik wären die Folge. Genau das brauchen wir auch zum Schutz der biologischen Vielfalt“, verlangt Scattolin. „Eine Wende ist möglich, erfordert aber einen globalen Naturschutzpakt nach dem Vorbild des Pariser Klimavertrags“, appelliert der WWF im Vorfeld der am 15. September startenden 75. UN-Generalversammlung.

„Einerseits gehören Arten und ihre Lebensräume überall besser geschützt, andererseits müssen wir an den Wurzeln der Probleme ansetzen und eine Ernährungswende einleiten. Das heißt: Lebensmittel sehr viel umweltfreundlicher erzeugen und konsumieren. Parallel dazu muss der extrem hohe Bodenverbrauch gestoppt werden“, fordert Scattolin. Vor allem der Amazonas wird rücksichtslos abgeholzt, um neue Flächen für die Agrarindustrie und die Produktion von Futtermitteln zu gewinnen, die wiederum für die Tierhaltung nach Europa exportiert werden. „Auch deswegen sind die untersuchten Wildtier-Bestände in Süd- und Zentralamerika noch stärker geschrumpft als anderswo“, erklärt der Experte für Artenschutz.

Zu den besonders gefährdeten Tieren gehört beispielsweise der Östliche Flachlandgorilla, dessen Bestände im Kongo seit 1994 vor allem aufgrund illegaler Jagd um 87 Prozent zurückgegangen sind. Durch Wilderei und Beifang sind die Bestände der Lederschildkröten seit 1995 um 84 Prozent gesunken. Der Afrikanische Graupapagei ist im Südwesten Ghanas fast ausgerottet worden (minus 99 Prozent seit 1992), weil er häufig gehandelt wird und seine Lebensräume zerstört werden. Um 86 Prozent eingebrochen sind die Bestände des Afrikanischen Elefanten im Selous-Mikoumi-Gebiet in Tansania, vor allem aufgrund der Elfenbein-Wilderei.

Am stärksten betroffen sind Gewässer und Feuchtgebiete, weil diese Lebensräume massiv unter übermäßiger Wasser-Verschmutzung, Wasser-Entnahme und Verbauung leiden. Ein Beispiel ist die Population des Störs im Jangtse, der aufgrund von Dammbauten für Wasserkraftwerke um 97 Prozent zurückging. Dammbauten waren vor Jahren maßgeblich für die Ausrottung des Chinesischen Flussdelfins verantwortlich. Darüber hinaus zeigen Beobachtungen und Langzeitstudien in Westeuropa und Nordamerika einen Rückgang der Insektenzahlen und ihrer Biomasse. So sind innerhalb der Europäischen Union zahlreiche Bestände der Grünland-Schmetterlinge seit 1990 um durchschnittlich 39 Prozent zurückgegangen.

Konkreter Artenschutz wirkt

Allerdings gibt der Living Planet Report auch Hoffnung: Beispielsweise sind die Bestände der Buckelwale im westlichen Südatlantik aufgrund des internationalen Walfang-Moratoriums gestiegen: 1958 waren nur mehr 450 Tiere übrig, jetzt gibt es wieder geschätzte 25.000 Individuen. Ähnliche Ursachen hat die Verdoppelung der Singschwäne in Großbritannien. Sie standen nach intensiver Bejagung am Rande der Ausrottung und haben sich durch bessere Schutzmaßnahmen wieder erholt. "Das zeigt: Natur- und Artenschutzmaßnahmen funktionieren, aber es braucht viel mehr davon. Der Mensch verursacht nicht nur das Problem, sondern hält auch den Schlüssel für die Lösung in den Händen", sagt Scattolin.

Flächenfraß zerstört Lebensräume in Österreich

Auch in Österreich gibt es im Langzeit-Vergleich besonders massive Einbrüche. Neben der Übernutzung durch intensive Landwirtschaft ist vor allem der hohe Bodenverbrauch ein wachsendes Problem. Von fossilen Großprojekten im Straßenbau über Skigebietsverbauungen bis zu immer neuen Supermärkten am Ortsrand verliert Österreich täglich im Schnitt 13 Hektar Boden. „Österreich ist schon lange kein Umweltmusterland mehr. Der Flächenfraß zerschneidet und zerstört wertvolle Lebensräume für Wildtiere und beraubt sie damit ihrer Lebensgrundlage“, kritisiert WWF-Bodenschutz-Sprecherin Maria Schachinger. Besonders schlecht ist es um die Flüsse bestellt, die vor allem durch den extremen Ausbau der Wasserkraft immer stärker belastet werden. Lediglich 15 Prozent der Flüsse gelten noch als ökologisch intakt. Laut einer BOKU-Studie gelten rund 60 Prozent der heimischen Fischarten als gefährdet, stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. „Wir haben beim Bodenverbrauch jedes naturverträgliche Maß überschnitten. Daher braucht es auch hier einen Systemwechsel“, fordert Schachinger.

Hintergrund zum Living Planet Report

Der Living Planet Report zeigt den ökologischen Gesundheitszustand der Erde und Wege aus der Biodiversitätskrise. Die Studie wird seit 1998 vom WWF veröffentlicht, seit 2000 erscheint sie alle zwei Jahre. Generell gilt: Die prozentuale Veränderung spiegelt die durchschnittliche proportionale Veränderung der Größe der Bestände über einen längeren Zeitraum wider - nicht die Anzahl der verlorenen Einzeltiere. Die aktuelle 13. Ausgabe hat der WWF gemeinsam mit der Zoological Society of London erstellt. Der vollständige Living Planet Report 2020 und eine deutschsprachige Kurzfassung sind als Download verfügbar.

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