EU-Parlament befürwortet „grünes“ Label für Gas und Atomkraft

Ein Antrag auf ein Veto gegen den Vorschlag der EU-Kommission, Atom- und Gasprojekte in die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen aufzunehmen, wurde mit 328 gegen 278 Stimmen abgelehnt. Für die Ablehnung des Plans waren allerdings mindestens 353 Stimmen erforderlich.

Der luxemburgische Energieminister reagierte auf Twitter und kündigte an, er werde die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten. „Luxemburg und Dänemark werden Klage erheben, und der Gerichtshof wird über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung entscheiden“, schrieb Claude Turmes, der die Entscheidung des Parlaments zutiefst bedauert.

Der deutsche grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss warnte, dass die Abstimmung Europa für viele weitere Jahre von russischen fossilen Brennstoffen abhängig machen werde. Auch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg erklärte, die Abstimmung werde die grüne Wende verzögern und „unsere Abhängigkeit von russischen Brennstoffen noch verstärken“. Dazu tritterte sie: „Die Heuchelei ist erstaunlich, aber leider nicht überraschend.“ Auch zahlreiche NGOs wie die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch zeigte sich empört.

„Das Europaparlament hat nicht die Notbremse gezogen, um zu verhindern, dass aus dem zentralen Instrument gegen Greenwashing für den Finanzmarkt ein Instrument für Greenwashing von Gas und Atomenergie wird. Nun wird angesichts angekündigter Klagen von Staaten und Zivilgesellschaft wohl die Justiz das letzte Wort haben“, sagte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch und ständiger Beobachter des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. „Die Entscheidung ist gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und des Einsatzes von Gaslieferungen als Waffe vollkommen aus der Zeit gefallen.“

EEB: Atomkraft „keine nachhaltige Lösung“

Auch das EEB kritisiert die Entscheidung des EU-Parlaments, erklärt allerdings auch die Chancen, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. „Die Klimakrise hängt mit der Energie zusammen, die wir verbrauchen. Und unsere Energieentscheidungen hängen von der Denkweise ab, die wir annehmen“, erklärt Andreas Budiman, Klimaexperte beim EEB. „Heute befinden wir uns in einem einzigartigen Moment für einen Mentalitätswandel, da wissenschaftliche Beweise, wirtschaftliche Gründe und der geopolitische Kontext den grünen Übergang immer dringlicher und wahrscheinlicher machen. Alles in allem gibt es keinen vernünftigen Grund, Atomkraft und Gas auszubauen, und es gibt allen Grund, die Erneuerbaren voranzutreiben.“

Atomkraft sei nach Ansicht Budimans keine nachhaltige Lösung, denn der Bau von Atomkraftwerken dauere mehr als zehn Jahre, verursache Kosten in Milliardenhöhe und könne 19-mal teurer sein als erneuerbare Energien, wenn man die Kosten für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und das Klima berücksichtigt. „Das Wachstum des Atommülls macht die Risiken allgegenwärtig, während die steigenden Kosten der Stilllegung von den zukünftigen Generationen zu tragen sind. In Belgien beispielsweise müssten die Steuerzahler 3.500 Euro pro Kopf zahlen, wenn Kernkraftwerke heute stillgelegt würden.“ Eine Ausweitung der Abhängigkeit von Gas sei ebenfalls keine Option, wenn Methanemissionen ein bis zu 82,5-mal höheres Treibhauspotenzial haben als Kohlenstoffdioxid. Verbindungen von Gas mit Menschenrechtsverletzungen, Vertreibung und Konflikten seien laut Budiman weitere wichtige Gründe, die Abhängigkeit von Gas zu vermeiden.

Ehe der Vorschlag zur Aufnahme von Kernkraft und Gas in die grüne Finanztaxonomie der EU in Kraft tritt, muss er noch im EU-Ministerrat abgestimmt werden, der die 27 EU-Mitgliedstaaten vertritt. Dazu ist eine Mehrheit von 20 Ländern erforderlich, um ein Veto gegen den Vorschlag im Europäischen Rat einzulegen.


Euractiv: EU-Parlament befürwortet „grünes“ Label für Atomkraft, Gas

Germanwatch: Taxonomie - EU-Parlament fügt Schlüsselinstrument für grüne Investitionen schweren Schaden zu

EEB: Faster, smarter, cleaner: Getting to Net-Zero without nuclear and gas

Locomotion (pdf)

EEB: MEPs must save the energy transition from greenwashing

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