Europäischer Rechnungshof: Ist das Stromnetz in der EU seiner Aufgabe gewachsen?
Rund 23 % des Endenergiebedarfs in der EU entfallen auf Strom. Schätzungen zufolge wird dieser Anteil steigen und sich 2030 auf 30 % und 2040 sogar auf 50 % belaufen. Der Übergang von der weitgehend auf fossilen Brennstoffen basierenden Energieerzeugung zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen bedeutet eine erhebliche Herausforderung für das Stromnetz, also für die Infrastruktur zur Übertragung und Verteilung von Strom. Der Hauptgrund dafür: Die auf fossilen Brennstoffen basierende Energieerzeugung erfolgt weitgehend kontinuierlich und kann angepasst werden. Die Produktion aus erneuerbaren Quellen hingegen unterliegt Unterbrechungen und ist unvorhersehbar. So kann beispielsweise eine Anlage, die mit Erdgas betrieben wird, schnell aktiviert und ihre Leistung dynamisch an den Energiebedarf angepasst werden. Solarenergie kann jedoch nur tagsüber und Windenergie eben nur bei Wind erzeugt werden. Außerdem kann bei erneuerbaren Energiequellen der Output nicht gesteuert werden, denn er hängt vollständig von den natürlichen Witterungsbedingungen ab.
Bisher war das Elektrizitätsnetz für eine konstante Stromerzeugung konzipiert, die an der Quelle angepasst wurde. Bei erneuerbaren Energiequellen gibt es aber Unregelmäßigkeiten und Unterbrechungen. Deshalb muss das Netz erheblich modernisiert werden. So sind etwa Batterien zur Speicherung überschüssiger Kapazitäten nötig, außerdem digitale Technologien wie sogenannte Smart Meter, also intelligente Messsysteme, und intelligente Übertragungsleitungen. So können Angebot und Nachfrage in Echtzeit besser aufeinander abgestimmt werden. Da der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen in der EU voraussichtlich von 42 % im Jahr 2022 auf 90 % im Jahr 2040 steigen wird, ist diese Netzmodernisierung dringender denn je. Das ist keine leichte Aufgabe: Das europäische Netz besteht aus mehr als 11,3 Millionen Kilometern Kabeln und Drähten, die 282-mal die Erde umspannen könnten. Die EU-Kommission schätzt, dass bis 2030 Investitionen in Höhe von 584 Milliarden Euro erforderlich sind, um das Netz zu modernisieren.
Anfang 2025 wird der Europäische Rechnungshof unter der Leitung eines seiner Mitglieder, Keit Pentus-Rosimannus, eine Analyse zu der Frage veröffentlichen, wie weit die Fortschritte bei der Modernisierung des europäischen Stromnetzes gediehen sind. Zwar sind viele Informationen über das Stromnetz in Europa öffentlich zugänglich, doch sind sie über viele unterschiedliche Quellen verstreut und von komplexer Natur. Die Prüfer werden diese wichtigen Informationen sammeln und zusammenfassen, um eine bessere Übersicht zu ermöglichen und somit Informationen bereitzustellen, die als Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen dienen können. Die Ergebnisse seiner Analyse könnten auch in etwaige weitere Prüfungen des Rechnungshofs in diesem Bereich einfließen.