SDG Watch Austria und SDG Watch Europe am High-level Political Forum (HLPF) 2023 in New York

Wie jedes Jahr seit Verabschiedung der 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) 2015 traf sich die Welt am Sitz der Vereinten Nationen in New York, um die Umsetzung der SDGs bis 2030 zu überprüfen, was aufgrund der multiplen Krisen zunehmend schwieriger wird. Es wurde festgestellt, wie wichtig es ist, politische Verpflichtungen einzuhalten, internationale Kooperationen zu verstärken aber auch auf nationaler Ebene die Bemühungen zu intensiveren.

Im Fokus standen die Vorbereitungen auf die Halbzeitüberprüfung der Agenda 2030 im Rahmen des SDG-Summit im September, Ein erster Schritt wäre die Annahme einer ambitionierten politischen Erklärung im Rahmen des SDG-Summits (die Verhandlungen dazu sollen Ende August fortgesetzt werden).

Überprüft wurden dieses Jahr SDG 6 – Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen; SDG 7 – Leistbare und saubere Energie; SDG 9 – Industrie, Innovation und Infrastruktur; SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden; SDG 17 - Partnerschaften zur Erreichung der Ziele. 39 Staaten bzw. Regionalorganisationen präsentierten ihre freiwilligen nationalen Umsetzungsberichte zur Agenda 2030 (Voluntary National Reviews), darunter neben 9 EU-Mitgliedsstaaten auch erstmals die EU. Österreich war hochrangig durch Ministerin Edtstadler vertreten, auch die Zivilgesellschaft in Vertretung von Bernhard Zlanabitnig für SDG Watch Austria und SDG Watch Europe waren vor Ort. Es fanden zahlreiche bilaterale Treffen mit u.a. dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EESC), Europaabgeordneten der Umwelt- und Entwicklungsausschüsse oder dem Präsidenten des Ausschusses der Regionen (CoR) statt.

Ausgangslage der 2-wöchigen Konferenz waren die multiplen Krisensituation (Klimawandel, Pandemie, Nahrungsmittelunsicherheit, Wasser – verschärft durch den Krieg in der Ukraine).

UN-Generalsekretär Guterres stellte einmal mehr einen erschreckenden Zustand der Welt fest: steigende Treibhausgasemissionen, so viele hungerleidende Menschen wie zuletzt 2005 und das Erreichen der Geschlechtergleichstellung erst in 300 Jahren. Auch gebe es ein fatales Scheitern der internationalen Finanzierungssysteme, es brauche angepasste Verschuldungsmechanismen sowie einen neuen „Bretton Woods Moment“. Schließlich verwies Guterres auf den Bericht zu „Long-term future trends and scenarios: impacts on the realization of the Sustainable Development Goals“: (E/2023/89)

Der Präsident der Generalversammlung, Csaba Kőrösi, forderte nationale SDG- Transformationspläne, eine Anpassung der Gesetze an die Ziele, Berechnungsmethoden der Externalitäten (externe Auswirkungen) aller Handlungen bzw. Nicht-Handelns, eine Reduktion negativer bzw. eine Steigerung positiver Externalitäten in allen 3 Säulen der Nachhaltigkeit, eine Identifizierung von ‚game-changern‘, Entwicklung von transparenten Umsetzungs-Roadmaps und wissenschafts-basierte Validierungs-Mechanismen der Umsetzung. Das Spiel selbst müsse sich ändern.

Zu Ziel 12 (Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster) wurde der Bericht über den 10 Jahre Programmrahmen zu Nachhaltiger Entwicklung und Produktion (10YFP) präsentiert. Global würde sich der Materialverbrauch bis 2025 verdoppelt. Es wurde betont, wie wichtig der Übergang zur Kreislaufwirtschaft und zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern sei. Der Fokus sollte auf high-impact Industrien, digitale Technologien, Bewusstsein über einen nachhaltigen Lebensstil, unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips, gelegt werden. 10-Year Framework of Programmes on Sustainable Consumption and Production Patterns”: https://hlpf.un.org/sites/default/files/2023-07/10YFP%20annual%20report.pdf

Einer der Höhepunkte war die Präsentation des ersten EU-Berichts (EU VR) zur Umsetzung der Agenda 2030 durch die Kommissare Gentiloni und Urpilainen, der auch gleichzeitig der erste Bericht einer supranationalen Institution war. Kommissar Gentiloni fokussierte auf die interne Perspektive der Umsetzung innerhalb der EU und die Integration der SDGs in den jährlichen Arbeitszyklus der EU (u.a. Europäisches Semester, Eurostat). Er gab zu, dass der Fortschritt bei SDG 13 (Klimaschutz) sowie SDG 12 (Konsum und Produktion) nicht zufriedenstellend sei. Kommissarin Urpilainen fokussierte auf die externe Dimension und die Wichtigkeit, Trade-Offs bei Entscheidungen zu berücksichtigen. Der EU VR habe strukturell in den Kapiteln einen Bezug zu Politikkohärenz (PCSD) verankert. Die EU sei der weltweit größte Geber von Entwicklungsgeldern mobilisiere gerade 300 Mrd. Euro für die Global Gateway Strategie.

In der anschließenden Diskussion wurde von der NGO Vertreterin (SDG Watch Europe) nach dem Umgang mit den Spillovers durch den hohe Ressourcenverbrauch der EU gefragt. Dies fördere auch den Biodiversitätsverlust, Klimawandel und die Luftverschmutzung und sei nicht im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen. Weiters würden die Handlungen der EU vielfach die Menschenrechtssituation verschlechtern. Im 2. Teil des Statements wurde auf die Diskriminierung von EU-Handlungen insbesondere für Roma, Migrant:innen, Flüchtlingen, Frauen, LGTBQIA+-Personen, Indigenen, jungen und behinderten Menschen aufmerksam gemacht. Diesen Herausforderungen müsse man mit einem intersektionalen Ansatz begegnen.

Viele Staaten schätzen in ihren Statements die Partnerschaft mit der EU im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, äußerten aber zugleich Bedenken hinsichtlich der Einsatzes von Entwicklungszusammenarbeit als mögliches Druckmittel („Weaponizing aid“).

Es gab auch ein vom EESC organisiertes Side-Event im Rahmen des EU VR, bei dem die Kommissare Gentiloni und Urpilainen, Vertreter:innen von CoR, EESC, Parlament und Ratspräsidentschaft anwesend waren.

Auch SDG Watch Europe (Julie Rosenkilde und Bernhard Zlanabitnig) war für die Europäischen Zivilgesellschaft vertreten. Wir wollten von der EU wissen, wie dauerhaft die Umsetzung verankert werden soll (das Erbe der 2024 auslaufenden Periode) und wie Europa seiner historischen Verantwortung gegenüber dem Globalen Süden gerecht werden will. Weiters ob man etwas am geltenden Wirtschaftssystem ändern wolle, da viele Krisen auf dieses zurückzuführen sei. Es überraschte insbesondere Kommissar Gentiloni, der sagte, dass im Hinblick auf das BIP (und die Bewertung und Bemessung von Wohlstand) „ein Kennedy-Moment und die Zeit reif sei für Änderung des Lehrbuchs der Steuerpolitik unter Einbeziehung anderer Methoden und einer neuer Matrix (inklusive soziale Unterschiede und Umweltfragen)“.

Beim Segment zu „Perspectives from major groups and other stakeholders at the mid-point of the SDGs: Towards inclusive transformation“ lag der Fokus auf Indigenen, LGBTQIA+ Personen, Personen mit Behinderung und die Verstärkung der Ungleichheiten, z.B. aufgrund des Klimawandels. Es brauche mehr Solidarität bei der Abgeltung von Schäden (loss and damages), einen Technologie-Transfer sowie einen social contract mit Fokus auf Menschenrechte, Mindestlöhne, gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit sowie die Finanzierung sozialer Schutzmaßnahmen. Generell wurden Stakeholder als entscheidend für die Erreichung der Agenda 2030 angesehen. Kritisiert wurde die mangelnde Finanzierung und capacity building und der geringer werdende Raum für Bürger:innen für aktives Engagement (civil society space und environmental defenders). Der UN Special Rapporteur zum Recht auf Entwicklung kündigte einen Bericht gegen Ende des Jahres an, der Menschen, Umwelt und Biodiversität ins Zentrum rücken werde. Die Vertreterin Österreichs verwies auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Umsetzung des Partnerschaftsprinzips in der Praxis und konkret auf das dritte SDG Dialogforum im Oktober 2023.

Stakeholdergruppen (Junge/Ältere, Behinderte, LGBTQIA+, Minderheiten, Frauen/Mädchen, etc.) werden von vielen Staaten (vor allem Skandinavien) schon sukzessive (insbesondere in der ersten Woche) eingebunden oder übernehmen ganze Elemente als Speaker/Präsentatoren. Für die Zukunft, auch Österreichs Bericht 2024 sollten Stakeholder eine noch aktivere Rolle zukommen, indem diese Gruppen/Personen in jedes einzelne Konferenzsegment eingebunden werden.

Das offizielle Side-Events Österreichs, moderiert vom Vertreter der Zivilgesellschaft, Bernhard Zlanabitnig, hieß: Digital transformation, artificial intelligence, and the digital gender gap: strategies and solutions. Ministerin Karoline Edtstadler eröffnete mit einer Key-Note bevor der Ruandische Botschafter, Unter-Generalsekretär Ryder und die UNIDO Managing Director Haidara folgten. Danach diskutierten, Vertreterinnen von/der UNIDO (C. Ugaz Estrada), UNICEF (G. Binder), Google (M. Yetken Krilla), IEEE (P. Shaw) und New York Academy of Science (B. Grindlinger) über die Rolle der digitalen Transformation als Chance und Risiko für die Benachteiligung von Frauen und Mädchen. UNIDO nützte die Veranstaltung, um die Publikation „Gender, digital transformation and artificial intelligence“ zu präsentieren. Die von ca. 80 Personen besuchte Veranstaltung wurde auch live im UN WEB TV übertragen.

Weiters gab es das durch das Ban Ki-moon Centre im österr. Kulturinstitut organisierte „Inspiring Female Leadership for the Global Goals. Dabei tauschten sich weibliche Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen (Politik, Finanz, Wissenschaft, Philanthropie über aktuelle globale Herausforderungen sowie den Beitrag von Frauen zur Umsetzung der SDGs aus. Das Panel wurde durch Monika Fröhler (CEO des Ban Ki-moon Centre for Global Citizens) moderiert. Zu diesem Anlass wurde zudem von ihr die Publikation „Austria’s commitment to the 2030 Agenda präsentiert.

Die zweiwöchige Veranstaltung war sozusagen die „Generalprobe“ für den bevorstehenden SDG-Summit auf Ebene der Staats- und Regierungschefs/innen am 18. und 19.  September zur Halbzeitüberprüfung der Agenda 2030 wie auch für den nächstjährigen freiwilligen Umsetzungsbericht durch Österreich. Mit dem davor geplanten SDG Action Weekend wird zudem besonderes Augenmerk auf die Einbindung der Stakeholder gelegt. Es wurde daher im Gegensatz zu den vergangenen Jahren beim HLPF auch keine politische Erklärung verabschiedet, da diese erst im Herbst am SDG Summits angenommen werden soll. Entsprechende Verhandlungen sollen sich in der Endphase befinden – es wurde jedoch mehrfach die Schweigefrist gebrochen und Irland und Qatar (die Verfasser des Entwurfs) haben ihr Mandat zurückgelegt. Knackpunkte sind die Entwicklungsfinanzierung und Sanktionen (Unilateral Coercive Measures). Die Verhandlungen sollen Ende August fortgeführt werden.

Ob es der Staatengemeinschaft tatsächlich gelingen wird, den politischen Willen zur Erneuerung der Verpflichtungen und vollständigen Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele in den nächsten sieben Jahren aufzubringen, ist mehr als fraglich, zumal dies radikale Maßnahmen und einschneidende Reformschritte erfordern würde: eine neuen internationale Finanzarchitektur (inkl. Mechanismen zum Schuldenabbau), deutliche Reduktionen der Treibhausgasemissionen, einem Climate Solidarity Pact oder Technologietransfers in den Globalen Süden bis hin zur vollständigen Geschlechtergleichstellung. Es bedarf jedenfalls einer ambitionierten politischen Erklärung, die 7 Jahre nach Annahme der Agenda 2030 den anhaltenden gemeinsamen Willen der internationalen Gemeinschaft demonstriert.

High Level Political Forum 2023

High Level segment of ECOSOC Economic and Social Council

Progress report on the 10-Year Framework of Programmes on Sustainable Consumption and Production Patterns

Publikation "Gender, digital transformation and artificial intelligence"

Side Event "Digital transformation artificial intelligence...

Event "Inspiring Female Leaders for the Global Goals, 17.07.2023

Publikation "Austrian's Commitment fot the 2030 Agenda"