So wird Österreich klimaneutral: Grazer Forscher legen Plan bis 2040 vor

15. Okt 20

Laut einer vom Wegener Center am Freitag der Vorwoche veröffentlichten Analyse erfordert die von der Bundesregierung verankerte Klimaneutralität 2040 einen Abbau von durchschnittlich 4,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr bis 2030 sowie danach jährlich 3,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Aus Sicht der Wissenschafter sei die Netto-Null an CO2 machbar, allerdings müsse der Reduktionspfad endlich in Gesetzesform gegossen werden. Wissenschafter haben dafür einen Plan für die Reduktion von CO2 skizziert.

Zusammen mit seinem Team vom Grazer Wegener Center hat Kirchengast ein sogenanntes Treibhausgasbudget für Österreich erstellt. Darin wird genau festgelegt, wie viele Emissionen pro Jahr eingespart werden müssen, um die Netto-Null innerhalb von 20 Jahren zu erreichen. Demnach müsse Österreich seinen Treibhausgasausstoß in der Zeit zwischen 2021 und 2030 im Durchschnitt um 4,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren, von 2031 bis 2040 um 3,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Zwar war in der gesamten Europäischen Union zwischen 1990 und 2018 der Kohlendioxid-Ausstoß noch um mehr als 22 Prozent gesunken, allerdings ist in Österreich und vier weiteren EU-Ländern der Wert gestiegen ist. Im Vorjahr stieg hierzulande der Wert um 1,4 auf rund 80,4 Millionen Tonnen an.

"Man muss jetzt rechtliche Verbindlichkeit schaffen", sagt der Klimaforscher Gottfried Kirchengast vom Wegener Institut. Bisher sei das Ziel ein politisches, im Regierungsprogramm festgehaltenes Bekenntnis. Was bisher jedoch fehlte, war ein konkreter Plan zur CO2-Einsparung sowie die entsprechende gesetzliche Verankerung. Maximal zehn Prozent CO2-Einsparung könnten auch durch Kohlenstoffspeicherung erreicht werden. Davon könnten heimische Landwirte profitieren, erklärt Kirchengast. Durch einen CO2-Preis könnten Bauern je Tonne eingespartem Kohlenstoffdioxid vergütet werden. "Es wäre auf jeden Fall schon bei einem Preis von unter 100 Euro je Tonne wirtschaftlich", so Kirchengast. Zudem würde die Bruttowertschöpfung in Österreich bleiben.

Darüber hinaus müsse das Treibhausgasbudget - etwa in Bundesländer und Sektoren - aufgeteilt werden. Das laufende Jahr bringe eine "kleine Starthilfe" für die Netto-Null. Kirchengast schätzt, dass der heimische Treibhausgasausstoß 2020 vor allem angesichts der Corona-Krise zwischen sieben und 13 Prozent sinken wird. Geht es nach Kirchengast und auch den Initiator*innen des Klimavolksbegehrens, wäre neben einem Klimaschutzgesetz auch eine Verankerung in der Verfassung sinnvoll. Denn dann wäre die Zielerreichung über die türkis-grüne Legislaturperiode hinaus sichergestellt.

 

"Wichtiger Beitrag“

 Die Berechnungen des Wegener Centers seien ein "wichtiger Beitrag" , sagte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne). Sie würden, wie auch andere Studien, in das Klimaschutzgesetz einfließen. Dieses soll jedenfalls einen klaren Weg vorgeben, wie das Ziel für 2040 erreicht werden soll, heißt es aus dem Ministerium. Neben den langfristigen Zielen sei es notwendig, auch "jetzt sofort konkrete Maßnahmen" zu setzen, sagte Gewessler. Das neue Klimaschutzgesetz, in dem jener Reduktionspfad verankert sein dürfte, ist derzeit in Ausarbeitung. Laut Klimaministerium soll es "in den nächsten Wochen" fertig sein.

 

WWF: Klimaschutzgesetz muss vom zahnlosen Papiertiger zum Reform-Turbo werden

Anlässlich der Veröffentlichung der Analyse fordert der World Wildlife Fund Österreich (WWF) die gesetzliche Verankerung eines wissenschaftsbasierten Treibhausgasbudgets. „Unser Klimaschutzgesetz muss vom zahnlosen Papiertiger zum Reform-Turbo werden. Die Verantwortung für CO2-Reduktionen gehört verpflichtend auf Bund, Länder und Sektoren aufgeteilt“, sagt WWF-Klimasprecher Karl Schellmann, der dazu auch auf die Vorschläge des erfolgreichen Klimavolksbegehrens verweist. „Ein rechtlich verbindliches Treibhausgasbudget schafft Planbarkeit und erhöht den Handlungsdruck für den kompletten Ausstieg aus Öl und Gas. Im Gegensatz dazu wäre ein weiteres Zuwarten geradezu fahrlässig.“ Schon jetzt gingen die Kosten des Nicht-Handelns in die Milliarden. Weitere Budgetbelastungen würden drohen, wenn die EU-Klimaziele verfehlt werden. Daher müsse jetzt auch der Finanzminister zum Klimaschützer werden, so Schellmann.

„Eine klimaneutrale Gesellschaft ist gesünder und lebenswerter. Dafür braucht es aber große strukturelle Reformen und klimagerechte Budgets, die von der gesamten Bundesregierung unterstützt werden: Von der Ökologisierung des Steuersystems über den Abbau umweltschädlicher Subventionen bis zur Mobilitätswende und dem Schutz von wichtigen Kohlenstoffspeichern in der Natur“, fordert WWF-Klimasprecher Karl Schellmann. „Bisherige Bundesregierungen haben hier große Baustellen hinterlassen, die dringend erledigt werden müssen.“

Besonders in die Pflicht zu nehmen seien die einzelnen Bundesländer, die in Bereichen wie Wärme und Verkehr eine zentrale Rolle beim Klimaschutz hätten, aber dieser großteils nicht gerecht würden, betont Schellmann. „Baustandards sind nicht am Stand der Technik, Wohnbaugelder werden viel zu wenig für die thermische Sanierung eingesetzt. In vielen Städten dominiert eine autozentrierte Verkehrspolitik. Das muss sich dringend ändern. Die Landeshauptleute müssen hier endlich Verantwortung übernehmen“, so Schellmann.

 

Klimaschutz-Zielpfad für Österreich laut Wegener Center. Autoren: Gottfried Kirchengast und Karl Steininger (jpg, 534,9 KB)

WWF

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