Staatsziel Wirtschaft: Große Skepsis von allen Seiten

20. April 18

Der WWF Österreich forderte am 13. April Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck zur Rücknahme der umstrittenen Staatszielbestimmung Wirtschaftsstandort auf. Aktueller Anlass dafür ist eine kritische Stellungnahme des Finanzministeriums, das explizit vor Investorenklagen warnt. „Die explizite Nennung des Ziels eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts könnte bei Nichteinhaltung oder allenfalls auch nur Änderungen im Ausland Klagen gegen die Republik induzieren“, schreibt das Finanzministerium in seiner Stellungnahme. Zusätzlich befürchtet das Ressort einen „möglichen weiteren Zielkonflikt im Verfassungsrang“.

„Seit heute ist klar: Das neue Staatsziel schwächt nicht nur den Umweltschutz, sondern setzt Österreich auch dem Risiko von Investorenklagen aus. Daher muss diese Episode rasch beendet werden“, fordert Hanna Simons, stv. Geschäftsführerin des WWF Österreich. Zusätzlich appelliert der WWF erneut an SPÖ und NEOS, die für einen Beschluss notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu verweigern. „Nachhaltigkeit und Umweltschutz als Anliegen der gesamten Bevölkerung dürfen nicht leichtfertig aufgrund von Partikularinteressen einzelner Projektbetreiber aufs Spiel gesetzt werden“, bekräftigt Simons die WWF-Position.

Auch der Umweltdachverband kann angesichts des täglich fortschreitenden Flächenverbrauch, des Biodiversitätsverlust samt Artensterben (weltweit sterben täglich 150 Arten aus; auf Grund des menschlichen Eingreifens ist die Aussterberate 1.000 Mal höher als zuvor), oder der Folgen des Klimawandels (die Klimawandelfolgekosten berechnen sich für Österreich bis 2050 auf mindestens 8.8 Milliarden Euro) umweltpolitisch keine sachlichen Gründen erkennen, die es rechtfertigen würden, der Umwelt einen weniger bedeutenden Stellenwert zuzuschreiben, sondern ist vielmehr von einer politisch motivierten Anlassgesetzgebung als Reaktion auf das erste BVwG-Erk „3. Piste Flughafen Wien“auszugehen. Dass die Novellierung explizit im BVG Umweltschutz aufgenommen werden soll, spräche in diesem Kontext eine eigene Sprache.

Abgesehen davon, dass der Schutz der Wirtschaftsinteressen rechtlich ausreichend abgebildet wäre (verfassungsrechtlich ist der Schutz der Wirtschaftsinteressen über die Grundrechte auf Eigentum und Erwerbsfreiheit abgesichert; in bestimmten Umweltmateriengesetzen ist die Interessenabwägungen vorgesehen, oftmals in Gestalt eines übergeordneten öffentlichen Interesses), sprechen auch die Statistiken zur Praxis der Genehmigung von UVP-Vorhaben eine deutliche Sprache- lediglich 4 % der Vorhaben werden im Schnitt nicht genehmigt bzw. zurückgewiesen. Zudem sei im BVG Nachhaltigkeit bereits die Wirtschaft abgebildet : das dort normierte Prinzip der Nachhaltigkeit ist, auch laut der Materialien  im Sinne des anerkannten «Drei-Säulen-Modells» mit den Elementen Ökonomie, Ökologie und Soziales zu verstehen.

Eine stärkere Akzentuierung über eigene Wirtschaftlichkeits- bzw. Bedarfsprüfungen in den Verfahren würde die Notwendigkeit eigener Amtssachverständigengutachten inkl. Parteiengehör bedingen und damit die Verfahren voraussichtlich verteuern und verlängern. Möchte man für die Vertretung dieser Interessen in weiterer Folge eine gesonderte UVP-Parteistellung für einen Standortanwalt / eine Standortanwältin schaffen, würde das die Verfahren weiter aufblähen und Zusatzkosten, sowohl auf Behörden- als auch auf ProjektwerberInnenseite, generieren.

Überhaupt bestünde die Gefahr, dass, wenn man die Verfassung mit zu vielen Staatszielen überfrachtet, sich diese gegenseitig zu « neutralisieren » bzw. « nivellieren » beginnen, da die Akzentsetzung auf das eine oder andere als bedeutsam erachtete Ziel in der Masse der Zielsetzungen untergeht. Effekt ist, dass erst recht wieder die politische Entscheidung, welches Ziel im Einzelfall prävalieren soll, auf die Judikative überwälzt wird. Eine „ Genehmigungsautomatik“, wie sie vielleicht für politisch bedeutsame Großprojekte vorschweben mag, kann es selbstredend alleine aus unionsrechtlichen Gründen heraus nicht geben.

Ferdinand Kerschner und Erika Wagner von der Johannes Kepler Universität Linz ergänzen, dass die Aufhebung der ökologischen Staatsziele im Ergebnis wieder zu unbeschränkten Grundrechten der Eigentums- und der Erwerbsfreiheit führe. Denn auch auf der Ebene einfacher Gesetze (z.B. Wasserrechtsgesetz, Gewerbeordnung, Abfallwirtschaftsgesetz) stehe bei Interessenabwägungen dem Umweltschutz die internationale Wettbewerbsfähigkeit gegenüber. Weiters vermissen sie die im Regierungsübereinkommen propagierte öko-soziale Marktwirtschaft. Abschließend zeige das starke derzeitige Wirtschaftswachstum, dass es auch ganz ohne neuen Staatsziel gehe.


Pressemeldung WWF

Stellungnahme des Bundesministeriums für Finanzen

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