Umweltanalysen entlarven „Umweltmusterland Österreich“ als Mythos

16. April 21

In ihrer Analyse der heimische Umwelt gingen die Umwelt-NGOs den Fragen nach: Ist die Bezeichnung „Umweltmusterland“ gerechtfertigt, oder ist Österreich eher ein Sündenfall? Wo sind wir im internationalen Vergleich gut, wo sind wir schlecht, welche Probleme sind die drängendsten?Alle vier Umweltorganisationen - der Umweltdachverband, Global 2000, Greenpeace und der World Wildlife Fund (WWF) - haben die Anfrage der Wiener Wochenzeitung Falter zum Anlass genommen, den Mythos des „Umweltmusterlandes Österreich“ in mehrseitigen Berichten zu beleuchten. Zum Start des neuen Natur-Ressorts stellen die NGOs ihre spannenden Analysen dem Falter-Publikum kostenlos als Download zur Verfügung.

„Inwieweit der Mythos des ´Umweltmusterlandes Österreich´ heute noch berechtigt ist, muss aber sehr differenziert betrachtet werden“, stellte der Umweltdachverband in der Einleitung zu seiner Analyse klar. Denn umweltpolitische Ereignisse wie das „Nein zu Atomkraft“ Ende der 1970er Jahre oder die Besetzung der Hainburger Au 1984 zur Verhinderung eines geplanten Wasserkraftwerks seien vielen Menschen noch äußerst lebendig in Erinnerung. Sie läuteten einen „demokratiepolitischen Bewusstseinswandel“ in der Gesellschaft ein und machten Österreich zum internationalen Umweltvorreiter.

22 Vertragsverletzungsverfahren

Zwar brachte der Beitritt Österreichs zur EU im Jahr 1995 neue Regelwerke auch für den nationalen Umwelt- und Naturschutz. „Allerdings wurden die Gesetze oft nur unzureichend umgesetzt. Aktuell sind 22 Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Österreich allein im Umweltbereich anhängig“, kritisiert der Umweltdachverband. „Eklatante Beispiele sind die mangelnde und immer wieder verzögerte Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien oder der Aarhus-Konvention.“

Auch die Ausweisung zahlreicher neuer Schutzgebiete im Rahmen der Schutzgebietskategorie „Natura 2000“, die infolge der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie eingeführt wurde, wirkt nur auf den ersten Blick positiv. Das Natura-2000-Barometer der EU-Kommission zeige allerdings, dass Österreich im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten den drittletzten Platz hinsichtlich ausgewiesener FFH-Schutzgebiete einnimmt; nur die Slowakei und Zypern hinken noch weiter hinterher, betont der Umweltdachverband.

Monotone Landschaften

Auch im Hinblick auf die Biodiversität stellt der Umweltdachverband der Republik kein gutes Zeugnis aus: „Eine wesentliche Ursache für den Rückgang der Biodiversität in Österreich ist, dass die Landschaften zunehmend ausgeräumter und monotoner werden.“ Laut Evaluierung der Biodiversitätsstrategie 2020+ (2010-2017) weisen nur 16 Prozent der 215 Arten und 14 Prozent der 74 Lebensraumtypen einen günstigen Erhaltungszustand auf. „Eine wesentliche Ursache für den Rückgang der Biodiversität in Österreich ist, dass die Landschaften zunehmend ausgeräumter und monotoner werden“, schreibt Global 2000 in ihrem Bericht.

Die EU-Kommission sieht in dem Pestizideinsatz eine wesentliche Ursache sowohl für den Biodiversitätsverlust, als auch für die Verschmutzung von Böden, Gewässern und der Luft und möchte diesen bis 2030 halbieren. Österreich sprach sich gegen das Pestizidreduktionsziel im EU-Rat aus, kritisiert GLOBAL 2000. Gleichzeitig ist Österreich von der Zielerreichung weiter entfernt als der EU-Durchschnitt.

„Biodiversität und multifunktionale Bewirtschaftung im Wald“ als Chance

Auch befänden sich nur noch etwa 40 Prozent der Fließgewässer laut österreichischem Rechnungshof in einem guten ökologischen Zustand, betont der Umweltdachverband. Zudem seien nur elf Prozent der österreichischen Wälder noch in natürlichem oder sehr naturnahmem Zustand, zahlreiche Bestände insbesondere in Tieflagen gelten heute nicht als klimafit. Darüber hinaus weist Österreich „mit mindestens 120.000 Kilometern Forststraßen das weltweit wohl dichteste Fortstaßennetz auf - ein zweifelhafter Ruhm.“ Allerdings begrüßt der Umweltdachverband den Ende Jänner 2021 vorgestellten Waldhilfsfonds der Bundesregierung und das Projekt „Biodiversität und multifunktionale Bewirtschaftung im Wald“ mit praxistauglichen Handlungsempfehlungen für Waldbewirtschafter*innen zur Förderung von Arten und Lebensräumen.

Im negativen europäischen Spitzenfeld sieht der Umweltdachverband unser Land hinsichtlich der aktuellen täglichen Flächeninanspruchnahme. Diese liegt bei ca. 12ha und ist somit noch sehr weit vom Zielwert 2030 von 2,5ha entfernt.

Schließlich gebe es auch erheblichen Aufholbedarf im Klima- und Energiebereich. Österreich zählt zu jenen vier EU-Ländern, in denen die Treibhausgasemissionen seit 1990 nicht zurück gegangen, sondern gestiegen sind. Im Verkehrsbereich beträgt die Steigerung sogar 74 Prozent. Weiters liegt die Rate der dringend notwendigen Sanierungen mit 1,4 Prozent weit unter den erforderlichen drei Prozent. Außerdem gibt es noch 900.000 aktive Gasheizungen, doch keinen Ausstiegsplan.

 

Falter-Artikel: „Umweltexperten, wie geht's Österreichs Natur?“

Bericht des Umweltdachverbandes (pdf)