Wirtschaften innerhalb planetarischer Grenzen

20. Nov 20

Die virtuelle Jahreskonferenz des European Environmental Bureau (EEB) am 9. November thematisierte das erste Jahr des Europäischen Green Deals. Dabei wurde erörtert, wie die Corona-Pandemie und ihre Folgen für eine Beschleunigung des grünen Übergangs genutzt werden können. Akteur*innen der europäischen Umweltbewegung und Ökonom*innen diskutierten dabei mit politischen Entscheidungsträger*innen den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft, in der niemand zurückgelassen werden soll.

Neben dem EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius und der österreichischen Klimaschutz- und Umweltministerin Leonore Gewessler gehörte die britische Ökonomin und Gründerin von „Donut Economics“ Kate Raworth zu den hochkarätigen Redner*innen der EEB-Jahreskonferenz 2020.

Raworth brachte die Hauptbotschaft der eintägigen Veranstaltung, dass der Fokus vom „Teig des Wirtschaftswachstums“ zu einem „Donut des Wohlbefindens“ innerhalb planetarischer Grenzen übergehen müsse.


Vom Teig zum Donut: Die Zukunft Europas nach der Pandemie

Europa müsse, so die Kernbotschaft der „Donut Economics“, von einem Fokus auf den Teig des Wirtschaftswachstums zu einem Donut des Wohlbefindens innerhalb planetarischer Grenzen übergehen. Entsprechend dem „Donut of Social and Planetary Boundaries“, so Raworth, dürfen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung die natürlichen Grenzen der Erde nicht überschritten werden. Raworth stellte die Frage in den Raum, ob der Europäische Green Deal wirklich einen Systemwechsel oder einfach eine semantische Verschiebung darstellt.

Eine Herausforderung des European Green Deals bestehe in der Spannung zwischen seiner Selbstidentifikation als neue „Wachstumsstrategie“ und seiner ganzheitlichen Vision einer Wohlfahrtsgesellschaft und -wirtschaft, die innerhalb ökologischer Grenzen lebt. „Wenn ich die Strategie lese, fallen mir die beiden widersprüchlichen Paradigmen auf“, gab Raworth zu. Untersuchungen des EEB sowie Modellierungen und Simulationen des LOCOMOTION-Projekts legen nahe, dass das sogenannte „grüne Wachstum“ wahrscheinlich nicht die erforderlichen Emissionsminderungen liefert und den ökologischen Fußabdruck nicht ausreichend verringert, um die Gesellschaften in Europa nachhaltig zu machen.

Um echte Nachhaltigkeit zu erreichen, müssten tiefgreifende Systemänderungen vorgenommen werden, einschließlich eines Umdenkens bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und unserer Beziehung zur Arbeit. Wie ein neuer EEB-Bericht später in diesem Monat darlegen wird, befand Raworth und nannte als ein Beispiel das Elektroauto: „Wenn es einfach den Verbrennungsmotor ersetzt, wird dies nicht nachhaltig sein. Um es nachhaltig zu gestalten, müssen wir unsere Bewegungen und die von uns verwendeten Mobilitätslösungen überdenken und neu gestalten.“

Für Raworth stellte der den Traum oder die Illusion eines endlosen Wachstums einen wesentlichen Faktor für die bislang größten Krisen des 21. Jahrhunderts dar: Die Finanzkrise von 2007/08, die Klimakrise sowie die Covid-19-Pandemie in diesem Jahr. „Diese Krisen gehen aus menschlichen Systemen hervor“, erklärte sie. „Unsere Strategie der endlosen Expansion bedeutet, dass es Bumerang-Effekte gibt, die zu Krisen führen.“

Trotz der Fortschritte im Bezug auf Ausblick und Semantik bleibe für Raworth die Frage, ob diese transformative Vision genutzt werden würde. Raworth kritisierte den langen Zeitrahmen des Europäischen Green Deals und sagte, dass 2050 zu weit in der Zukunft liege und wir jetzt radikal handeln müssten. Sie kritisierte auch das Fehlen verbindlicher Ziele in bestimmten Schlüsselbereichen wie der Entkopplung und der Kreislaufwirtschaft. Auch verwies sie auf Beispiele wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), in der Geld, das für eine nachhaltige Landwirtschaft hätte verwendet werden sollen, letztlich allerdings für die Aufrechterhaltung „destruktiver“, umweltbelastender landwirtschaftlicher Praktiken verwendet wurde.

 

Historische Gelegenheit

Kate Raworth forderte die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, sich der Gelegenheit zu stellen und den Ehrgeiz zu wagen. „Der beste Weg ist der Mut politischer Entscheidungsträger", betonte sie. „Manchmal öffnet sich ein Moment, ein Riss in der Geschichte.“ Der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius stimmte diesen Worten zu. „Wir leben in Krisenzeiten. Menschen neigen dazu, zu alten Lösungen zurückzukehren, zu "Business as usual". Ich bin stolz darauf, dass wir hier in Europa trotz der schwierigen Umstände das Gegenteil getan haben“, argumentierte er und lobte das Umweltmanagement der EU. „Covid-19 erinnerte uns an unsere Zerbrechlichkeit und die Zerbrechlichkeit unserer Welt.“

Sinkevičius brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der einzige Lackmustest für die Politikgestaltung in der Frage liege: "Ist sie ehrgeizig genug, um uns innerhalb der Grenzen des Planeten zu halten?" Er widersprach jedoch Raworths Einschätzung, dass der Europäische Green Deal nicht ehrgeizig genug sei, um das Ausmaß der Krise zu bewältigen. „Wir haben ein Jahrzehnt Zeit, um die Klimakrise und die Umweltzerstörung zu stoppen und systemische Veränderungen herbeizuführen“, sagte Sinkevičius. „Unsere Ziele sind ehrgeizig, aber erreichbar.“ Als Beispiel dafür führte er die Biodiversitätsstrategie der EU für 2030 an. Dies würde jedoch ein Buy-in aus allen Bereichen der Gesellschaft erfordern. „Zu guter Letzt ist die gesellschaftliche Unterstützung von entscheidender Bedeutung. Dies kann nicht ohne alle an Bord geschehen “, sagte er.

Aufgrund der Pandemie fand die Jahreskonferenz des Europäischen Umweltbüros entgegen der Konvention virtuell statt. Dies erwies sich sowohl als Herausforderung als auch als Chance. Zum einen resultierten aus der Online-Konferenz kaum CO2-Emissionen, zum anderen konnte die diesjährige Jahreskonferenz ein weitaus breiteres Publikum erreichen, als dies mit einer physischen Veranstaltung möglich ist, sowie Raum für neue Begegnungen schaffen. Über 2.000 Menschen aus allen Teilen Europas und auch außerhalb haben den Reden und Podiumsdiskussionen der Veranstaltung virtuell beigewohnt.

European Environmental Bureau - FROM DOUGH TO DOUGHNUTS: CHARTING EUROPE’S POST-PANDEMIC FUTURE

 

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Montag, 7. Dezember 2020

Online conference Beyond GDP: Well-being and SDGs in policy making

Hosted by the Dutch Ministries of Economic Affairs and Climate Policy, Finance and Foreign Affairs, and the Netherlands Enterprise Agency