WWF schlägt Alarm: Europas Wanderfische stark dezimiert

30. Juli 20

Der wenigen Tagen veröffentlichte erste globale Zustandsbericht zu wandernden Süßwasser-Fischarten belegt die dramatische Entwicklung der Artenvielfalt in Fluss-Ökosystemen. Laut der gemeinsamen Studie der World Fish Migration Foundation, der Zoological Society of London, der Weltnaturschutzunion IUCN, The Nature Conservancy und dem World Wide Fund for Nature (WWF) sind die Bestände von Wanderfischen seit 1970 im globalen Schnitt um 76 Prozent zurückgegangen. Der WWF Österreich fordert nun den Abbau nutzloser Barrieren sowie verstärkten Schutz für sensible Gebiete.

Hauptursachen sind das hohe Ausmaß der Flussverbauung sowie negative Effekte durch Übernutzung, Verschmutzung und Klimaerwärmung. „Der drastische Rückgang der Wanderfische ist ein Alarmsignal für den Zustand unserer Flüsse. Wenn sich Fische aufgrund von Hindernissen nicht frei durch Flüsse bewegen können, gilt dasselbe auch für Wasser und Sediment. Gerade in Zeiten der Klimaerwärmung sind lebendige und klimafitte Flüsse unsere wichtigsten Helfer im Kampf gegen Hitze und Trockenheit“, sagt WWF-Gewässerschutzexperte Gerhard Egger. Zugleich fordert er ein Umdenken im Umgang mit der Ressource Wasser: „Flüsse müssen wieder stärker als Lebensraum wahrgenommen werden und nicht nur als Lieferanten von Kilowattstunden. Der künftige Ausbau der Wasserkraft muss daher strengen Kriterien für Naturverträglichkeit unterliegen. Gleichzeitig braucht es einen Abbauplan für veraltete Querbauwerke, um die Erholung der Artenvielfalt in unseren Flüssen zu ermöglichen.“

14 Arten, wie der vom Aussterben bedrohte Huchen, zählen von den heimischen Fischarten zu den Mittelstreckenziehern mit Wanderrouten von 30 bis zu 300 Kilometern. Zu den betroffenen Langstreckenwanderern gehört der in Österreich bereits ausgestorbene Beluga-Stör oder der Aal. Der Rückgang der migrierenden Fischarten unterstreicht die bereits beobachtete allgemeine Negativentwicklung von Süßwasserlebensräumen. Auch in Österreich sind 60 Prozent der Flüsse in keinem guten ökologischen Zustand. Auf der anderen Seite gelten 60 Prozent aller Fischarten als gefährdet, stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht.

Beim ersten globalen Bericht über den Status von migrierenden Süßwasserfischen (Living Planet Index for migratory freshwater fish) handelt es sich um eine Studie der World Fish Migration Foundation (WFMF), der Zoological Society of London (ZSL), der International Union for Conservation of Nature (IUCN), dem World Wide Fund for Nature (WWF) und The Nature Conservancy (TNC). Die Ergebnisse des Berichts wurden mit Hilfe der Living Planet Database (LPD, LPI 2020) berechnet. Untersucht wurden Daten zu 1.406 Populationen von 247 Fischarten, die im Global Register of Migratory Species (GROMS; Riede 2001) als anadrom, katadrom, diadrom, amphidrom und potamodrom verzeichnet sind.

Auch in der Region Lateinamerika und Karibik war der Rückgang an Süßwasserfischen mit 84 Prozent überdurchschnittlich stark. Insgesamt wurde bei Süßwasser-Wirbeltieren ein Populationsrückgang von 83 Prozent verzeichnet. Damit zählen Flüsse, Seen und Feuchtgebiete zu den am stärksten vom Artensterben betroffenen Lebensräumen.

Die Studienautor*innen rufen gemeinsam zu einem verstärken Schutz von freifließenden Flüssen auf. Weitere zentrale Forderungen an die Politik betreffen die Erarbeitung konkreter Managementpläne für gesamte Flusseinzugsgebiete, um Bedrohungsfaktoren strategisch zu berücksichtigen sowie die konsequente Einhaltung von Natur- und Wasserschutzgesetzen.

In Österreich ist laut WWF vor allem die anhaltende Wasserkraftexpansion problematisch. Der hierzulande erfolgte Ausbau ist mit mehr als 5.200 Anlagen bereits überdurchschnittlich hoch und wird trotz des besorgniserregenden Gewässerzustands weiter vorangetrieben. „Entlang unserer Flüsse trifft man im Schnitt alle 900 Meter auf ein Hindernis. Dennoch sind hunderte weitere Wasserkraftwerke in Planung“, kritisiert WWF-Experte Egger. „Diese kurzsichtige Flussverbauung muss ein Ende haben. Die letzten intakten Gewässer müssen ebenso wie Schutzgebiete vom Kraftwerksbau ausgenommen werden.“ Aktuell besonders problematische Kraftwerkspläne finden sich etwa an der Oberen Mur in der Steiermark, einem der letzten intakten Laichplätze des Huchens, oder im Isel-Einzugsgebiet in Osttirol, wo der nicht-abgestimmte Wasserkraftausbau zur Gefahr für ein Natura 2000-Gebiet wird.

Nun kündigt der WWF Österreich eine EU-Beschwerde gegen den Wasserkraft-Ausbau im Isel-Gebiet an. Zugleich fordert der WWF eine Gesamtstrategie für die Isel angesichts einer drohenden Kraftwerkswelle.

Die Einhaltung internationaler Naturschutzziele durch das Land Tirol steht auf dem Prüfstand. Angesichts des nicht-abgestimmten Baus mehrerer Wasserkraftwerke im Einzugsgebiet der geschützten Isel sieht der World Wildlife Funds (WWF) Österreich die wertvolle Wildflusslandschaft akut gefährdet. Gleich sechs Kraftwerksprojekte werden an den Isel-Zubringern forciert, eines sogar direkt am Hauptfluss.

Aufgrund der kurzsichtigen Verfahrens- und Prüfungspraxis in Tirol sieht sich der WWF nun gezwungen, sich mit einer Beschwerde an die EU-Kommission zu wenden. Der WWF begründet diesen Schritt mit unzureichender Umsetzung der Naturschutzziele der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. „Der Wildwuchs an Kraftwerksvorhaben in Osttirol bedroht eines der letzten großen Gletscherflusssysteme der Alpen“, warnt WWF-Gewässerschutzexperte Gerhard Egger. „Die Tiroler Landesregierung muss daher seine internationalen Schutzverpflichtungen endlich ernst nehmen und den Wasserkraftausbau im Isel-Gebiet einschränken. Lebensräume von EU-rechtlich streng geschützten Arten dürfen nicht weiter für den schnellen Profit zerstört werden. Wir erwarten uns, dass die Europäische Kommission für eine gewissenhafte Umsetzung der EU-Richtlinien eintritt. Es ist absurd, dass strenge Naturschutzvorgaben immer wieder von neuen Wasserkraftprojekten torpediert werden. Das Land Tirol muss hier unbedingt die Summenwirkung der vielen Kraftwerksprojekte auf das Isel-Schutzgebiet überprüfen.“

Seit Jahren beobachtet der WWF Österreich eine höchst problematische Vorgangsweise bei der Bewilligung von Kraftwerksprojekten im Einzugsgebiet der Isel. Im Verfahren zum Kraftwerk Schwarzach wurden etwa mehrere schutzwürdige Arten (Vögel, Fische, Amphibien) sowie Lebensräume nicht in die Prüfung mitaufgenommen, obwohl dies EU-rechtlich vorgeschrieben wäre. Zudem wird die vom Aussterben bedrohte Ufertamariske nur innerhalb des Natura 2000-Gebiets geschützt. Sobald die Pflanze auch nur einen Meter außerhalb wächst, kann sie der Verbauung zum Opfer fallen.

„Die Art und Weise wie der Schutz der Isel in der Praxis gelebt wird ist ein Negativbeispiel für den gesamten Naturschutz“, beklagt Egger. „Trotz Ausweisung als Natura-2000-Gebiet droht dem Fluss die schrittweise Amputation durch eine Kraftwerkswelle an seinen Zubringern. Es braucht daher dringend eine Gesamtstrategie für eine möglichst naturverträgliche Nutzung der Wasserkraft sowie ein konkretes Erhaltungskonzept für das Schutzgebiet.“

Diese Forderung entspricht einer aktuellen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH). Denn im Falle der umstrittenen Bewilligung des Kraftwerks Schwarzach nahe der Isel-Mündung hat der VwGh die angestrebte außerordentliche Revision des Landesgerichtsurteils abgewiesen. Demnach hätte der WWF selbst nachweisen müssen, dass durch die Summe der vielen Kraftwerksprojekte ein Schaden für geschützte Arten in der Region entsteht, obwohl dies aus Naturschutz-Sicht definitiv die Aufgabe der Landesregierung wäre. Der WWF respektiert die VwGh-Entscheidung, sieht darin aber auch eine Bestätigung dafür, dass die Bewilligungspraxis in Tirol eine ernsthafte Gefahr für hochsensible und geschützte Naturräume darstellt.

Die Isel ist aufgrund ihrer ökologischen Besonderheit seit 2015 als Natura-2000 Gebiet geschützt. Dennoch wird ihr Einzugsgebiet immer mehr verbaut. An der Schwarzach bei sind zwei Wasserkraftprojekte in Planung sowie an Tauernbach, Kalserbach und Stalleralmbach jeweils eines. Die Pläne zum hochumstrittenen Kraftwerk Obere Isel direkt im Schutzgebiet wurden Anfang des Jahres zwar abgewiesen, die Betreiber halten aber weiterhin am Vorhaben fest. Das Kraftwerk Lesachbach ist nach einer politischen Intervention sogar schon im Bau. Um dieses nicht genehmigungsfähige Kraftwerk an einer intakten Flussstrecke zu ermöglichen, griff LH-Stv. Josef Geisler sogar mit einer Weisung direkt in das Verfahren ein, wie durch eine Anfragebeantwortung an den Landtag belegt ist.

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