EuGH-Urteil stärkt Natura-2000-Schutzgebiete

 

Dem Urteil vom 27. Jänner zufolge hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Einschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung von Schutzgebieten und etwaigen Ausgleichszahlungen nationaler Behörden festgelegt. Demzufolge kann eine Behörde die Nutzung von Eigentum aufgrund von EU-rechtlichen Bestimmungen einschränken. Dabei entsteht nicht zwangsläufig ein Entschädigungsanspruch, wenn es sich um eingeschränkte Eigentumsrechte, aber nicht eine Enteignung der Nutzer*innen handelt. Eine nationale Behörde kann allerdings Landwirt*innen für den Verdienstausfall entschädigen.

Hintergrund dieses Urteilspruches ist ein Fall in Lettland, wo auf einem Moorgebiet in privatem Eigentum innerhalb eines Natura-2000-Schutzgebietes der Anbau von Moosbeeren untersagt wurde. In der Folge beantragten die Eigentümer*innen eine Ausgleichszahlung für die Jahre 2015 und 2016, der jedoch zurückgewiesen wurde. Begründet wurde dies damit, dass das maßgebliche nationale Recht keine derartige Ausgleichszahlung vorsehe. Daraufhin folgte eine Beschwerde beim obersten lettischen Gericht, das wiederum den EuGH zur Klärung verschiedener Detailfragen anrief. Diese bezogen sich etwas darauf, dass die Verordnung Nr. 1305/2013 zur Förderung des ländlichen Raumes (ELER-Verordnung) zwar Begriffe wie „Wald“ und „landwirtschaftliche Fläche“ enthält, nicht aber Torf- oder Moorgebiete. Der EuGH entschied, dass die EU-Mitgliedstaaten hier durchaus Ermessensspielraum - auch in Bezug auf die Einschränkung des Geltungsbereichs - haben.

Entschädigungsanspruch nur bei Entzug des Eigentums

Lediglich im Falle des Entzugs des Eigentums hätten Eigentümer*innen Entschädigungsanspruch. Wenn die fehlende Ausgleichszahlung an die Betroffenen „einen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen würde, der den Wesensgehalt ihres Eigentumsrechts antastet“, sei eine Zahlung „angebracht“, allerdings gebe es im Unionsrecht keine Verpflichtung zur Leistung einer solchen Ausgleichszahlung. Sollte es eine Ausgleichszahlung geben, kann die nationale Behörde den Betrag deckeln. Wenn der Betrag unter 30.000 Euro liegt, könne er als „De-minimis-Beihilfe“ eingestuft werden und müsse demnach nicht als staatliche Beihilfe an die EU-Kommission gemeldet werden.

Vergangenen Dezember hatte die Europäische Kommission angekündigt, Deutschland vor dem EuGH zu klagen, nachdem sich das Land nicht ausreichend um den Erhalt von artenreichen Mähwiesen in FFH-Gebieten gekümmert hätte. Zwar dürfe nach EU-Recht sich der Zustand der geschützten Arten und Lebensräume dort nicht verschlechtern, doch seien nach Angaben des deutschen Naturschutzbundes (NABU) in den deutschen FFH-Gebieten durch intensive landwirtschaftliche Nutzung rund 18.000 Hektar Mähwiesen verschwunden. Bereits im Februar letzten Jahres hatte die EU-Kommission Deutschland aufgrund unzureichenden Schutzes der Natura 2000-Gebiete verklagt.

Urteil des Verfassungsgerichtshofes zur Zukunft von Schutzgebieten in Österreich

Auf der Grundlage des Naturschutzprotokolls der Alpenkonvention hat der österreichische Verfassungsgerichtshof eine Vorarlberger Verordnung, mit der das Naturschutzgebiet „Gipslöcher“ in Lech aufgrund von Bauplänen für eine Liftanlage um rund 900 m2 verkleinert werden sollte, als gesetzwidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof hält in seinem Erkenntnis fest, dass Art 11 Abs 1 des Protokolls „Naturschutz und Landschaftspflege“ der Alpenkonvention unmittelbar anwendbar und Österreich damit verpflichtet ist, bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutzzwecks zu erhalten, zu pflegen und zu erweitern sowie Beeinträchtigungen oder Zerstörungen zu vermeiden. Dass insbesondere die sensiblen Alpenräume durch touristische Infrastrukturprojekte unter Druck stehen, ist evident. Ein Beispiel dafür ist ein höchst umstrittenes Bauvorhaben auf der Wurzeralm im Warscheneckgebiet in Oberösterreich: die Sanierung der Frauenkarseilbahn. Im Oktober 2021 wurde dieses Bauprojekt einer Prüfung durch die unabhängige Rechtsservicestelle (RSS) Alpenkonvention unterzogen. Die massiven Sanierungs- und Ausbaupläne im Gebiet Warscheneck-Wurzeralm beeinträchtigen rechtswidrig den Schutzzweck der Natur- und Landschaftsschutzgebiete und stehen somit im Widerspruch zu den Vorgaben der rechtlich verbindlichen Alpenkonvention. Eine Erweiterung und Neuschaffung von Schutzgebieten ist dringend geboten. Dies erfordert nicht zuletzt auch die EU-Biodiversitätsstrategie, die alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, mindestens 30 % der Landesfläche als Schutzgebiete auszuweisen.


EuGH - Der Gerichtshof legt die Unionsrechtsbestimmungen für im Rahmen von Natura 2000 gewährte Ausgleichszahlungen aus

Volltext des Urteils - C-234/20 und Volltext des Urteils - C-238/20

EU-Kommission - Naturschutz: Unzureichender Schutz von blütenreichen Wiesen in Natura-2000-Gebieten – Kommission verklagt DEUTSCHLAND vor dem Gerichtshof der Europäischen Union

DNR - EuGH stärkt Natura-2000-Schutzgebiete

Umweltdachverband Presseaussendung