IUCN: Zahlreiche Wal- und Delphinarten im Mittelmeer gefährdet

Die Internationale Naturschutzunion (IUCN) hat in der Vorwoche ihre neueste Bewertung des Erhaltungszustandes von Wal- und Delphinarten im Mittelmeer präsentiert. Demnach mussten neun von elf regelmäßig im Mittelmeer vorkommenden Arten in eine der Gefährdungskategorien gestellt werden.

Teilpopulationen von vier Arten sind vom Aussterben bedroht. Davon betroffen sind der Gewöhnliche Delphin im Golf von Korinth (noch ca. 20 Tiere), Großer Tümmler im Ambrakischen Golf (ca. 150 Tiere) sowie Orca (ca. 30 Tiere) und Grindwal in der Straße von Gibraltar.

Zu den Hauptgefahren zählt die Fischerei, die zu Nahrungsmangel, Lebensraumzerstörung und Tod durch Beifang führt. Unterwasserlärm, chemische Verschmutzung, Plastik und die zunehmende Wassertemperatur als Folge des Klimawandels bilden einen Gefahrenmix, der den Druck auf das Überleben der Meeressäuger signifikant erhöht.

Gemeinsam mit ihren Forschungspartnern Dolphin Biology and Conservation, Morigenos und Tethys Research Institute appelliert die internationale Meeresschutzorganisation OceanCare zur Umkehr dieses Trends an die Mittelmeer-Anrainerstaaten, die wissenschaftsbasierte Erhaltungsmaßnahmen umzusetzen.

Rückgang der Großwale im Mittelmeer

Der Pottwal wurde wieder als „stark gefährdet“ eingestuft, und der einzige Bartenwal des Mittelmeers, der Finnwal, wurde ebenso von „gefährdet“ auf „stark gefährdet“ hochgestuft. Während der Finnwal-Bestand zuvor auf 3.500 Tiere geschätzt wurde, dürfte sich der aktuelle Bestand mit etwa 1.800 Tieren halbiert haben. Diese Zahl basiert auf der großen ACCOBAMS Survey Initiative (ASI), die vom Übereinkommen zum Schutz der Wale des Schwarzen Meeres und des Mittelmeeres (ACCOBAMS) ermöglicht wurde.

Pott- und Finnwale sind besonders durch Kollisionen mit Schiffen und durch anthropogenen Unterwasserlärm bedroht. Außerdem haben sich Wissenschaftler*innen jüngst äußerst besorgt über die Gefahren durch Mikro- und Makroplastik gezeigt, das von beiden Walarten bei der Nahrungssuche aufgenommen wird.

„Das Mittelmeer ist schlichtweg kein sicherer Lebensraum für Wale und Delphine. Das ist bereits seit Jahrzehnten so, aber die nun vorgestellten Trends zeigen, dass sich die Lage der meisten Arten noch weiter verschlechtert“, sagt Nicolas Entrup, Ko-Leiter Internationale Beziehungen bei OceanCare. „Die Politik muss sich darüber im Klaren sein, dass Wale und Delphine als Indikator für den Zustand der Meere zu betrachten sind. Basierend auf der aktuellen Bewertung der Meeressäuger sollten die Alarmglocken läuten.“

Wale und Delphine würden sich mitunter als erstaunlich resilient gegenüber anthropogenen Belastungen erweisen, erklärt Tilen Genov, Präsident von Morigenos – Slovenian Marine Mammal Society und Mitglied der IUCN Cetacean Specialist Group. „Dass sich die Situation der meisten Populationen verschlechtert statt verbessert, zeigt aber, dass wir ihnen zu viel zumuten. Und das gilt nicht nur für Wale und Delphine. Alle diese Bedrohungsfaktoren schädigen das gesamte Ökosystem, von dem letztlich auch wir Menschen abhängen“, so Genov.

„Maßnahmen, die das Überleben des vom Aussterben bedrohten Großen Tümmlers im Ambrakischen Golf sichern, haben für das gesamte marine Ökosystem positive Auswirkungen. Delphine nehmen für den Meeresschutz eine zentrale Rolle ein“, ergänzt Joan Gonzalvo, Direktor Ionian Dolphin Project des Forschungsinstituts Tethys und Vorsitzender der European Cetacean Society.

„Die Wiederherstellung der marinen Artenvielfalt wird nicht nur Walen und Delphinen nützen, sondern auch eine bessere, d.h. lebenswertere und gerechtere Welt für künftige Generationen ermöglichen“, erklärt der Meeresschutzbiologe Giovanni Bearzi. „Angesichts des derzeitigen Ausmaßes der Bedrohung der Biosphäre und aller Lebensformen ist es für unsere eigene Spezies zu einer Frage des Überlebens geworden, nicht nur die zerstörerische und nicht nachhaltige Ausbeutung zu reduzieren, sondern auch ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, um komplexe und widerstandsfähige terrestrische und marine Nahrungsnetze wiederzubeleben.“

Ocean Care