Liebesbriefaktion zum EU-Klimaziel für 2030

3. Sept 20

Am 10. September 2020 wird der Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) die Klimaziele 2030 verhandeln. Dabei wird eine Frage im Mittelpunkt stehen: Werden in diesem Zuge die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union im Vergleich zu 1990 um 65, 55, 50 oder 40 Prozent gesenkt? Die Antwort wird entscheidend dafür sein, ob das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden kann. Mit einer „Liebesbrief-Aktion“ bzw. der Versendung „lieber Briefe“ sollen nun die Abgeordneten überzeugt werden, für eine Verschärfung der Ziele auf 65 Prozent zu stimmen.

„Wir haben jetzt die Chance, etwas zu bewegen!“ heißt es dazu auf der Website des AK Klima der BUNDjugend. Und weiter: „Mit der ´Aktion Liebesbrief´ wollen wir die Abgeordneten im Ausschuss auf unsere Seite holen und das klimapolitische Steuer der EU in letzter Sekunde auf stabilen Kurs bringen. Um den Druck zu erhöhen, laden wir außerdem andere Jugendverbände in unserem europäischen Netzwerk Young Friends of the Earth Europe ein, ebenfalls ihre Abgeordneten anzuschreiben. Dazu wollen wir keine automatisch generierten Anschreiben in unpersönlichen E-Mail-Filtern landen lassen, sondern persönliche Karten und Briefe versenden.“

Die Erwartungen der AK Klima der BUNDjugend sind auch angesichts der wachsenden Unterstützung im EU-Parlament für eine drastische Verschärfung des Klimaziels für 2030 hoch. Grüne und auch viele Sozialdemokraten sind ebenso wie Ursula von der Leyen für 65% Treibhausgasreduktionen im Vergleich zu 1990. Angela Merkel spricht sich für 50 bis 55 % aus. Im ENVI-Ausschuss sitzen auch acht deutsche Abgeordnete, die über unsere Zukunft mitentscheiden dürfen. Sie erarbeiten eine Vorlage, die anschließend im Parlament abgestimmt wird.

Nach eines Bericht des Informationsdienstes Euractiv kündigte EU-Kommissionssprecherin Vivian Loonela an: "Wir arbeiten sowohl an der Folgenabschätzung als auch an dem neuen Vorschlag, die beide im September vorgelegt werden sollen". Ziel sei es, bis 2030 die Treibhausgasemissionen der EU auf "mindestens 50 Prozent" unter das Niveau gemessen ab 1990 "und in Richtung 55 Prozent" zu verringern. Die Kosten-Nutzen-Studie soll bei der Entscheidung helfen, ob die Einsparziele bei minus 50 oder bei minus 55 Prozent liegen sollen oder können. Denn angesichts der aktuellen Pandemie sind einige Mitgliedstaaten kaum bereit, zusätzlich Anstrengungen zu unternehmen.

Indes zeigt das EU-Parlament eine größere Bereitschaft zu einem höheren Ziel. So schlägt die zuständige Berichterstatterin Jytte Guteland (Schweden, S&D) im Umweltausschuss (ENVI) sogar 65 Prozent vor - was ihr große Unterstützung von zahlreichen Umweltverbänden eingebracht hat. Am 10. September soll der Ausschuss über Gutelands Berichtsentwurf entscheiden.

Die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende geht davon aus, dassein EU-weites CO2-Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 realistisch sei. Allerdings müssten dazu Industrie und Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr an einem Strang ziehen, wie aus einer aktuellen Studie des Öko-Instituts hervorgeht. Die Autor*innen untersuchten darin, wie verschiedene Maßnahmen im europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) und in der Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) als wichtigste Bausteine der EU-Klimapolitik so zusammenwirken können, dass 55 Prozent erreicht werden.

„Mit der heute veröffentlichten Studie der Agora Energiewende sind die Ausreden endgültig vom Tisch“, ist der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) Kai Niebert überzeugt. Dabei werde deutlich, dass alle Sektoren und alle Mitgliedstaaten liefern müssen. Viviane Raddatz, WWF-Expertin für Klimaschutz- und Energiepolitik forderte anlässlich der Veröffentlichung des deutschen Klimaschutzberichtes 2019: "Das Ziel von 55 Prozent Emissionsminderung bis 2030 ist jedoch für einen angemessenen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen nicht ausreichend. Klar ist deshalb auch: Die Bundesregierung muss im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Erhöhung des EU-Klimabeitrags vorantreiben."

Das Bundeskabinett beschloss am 19. August den "Klimaschutzbericht 2019 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung". Demnach hat Deutschland im Jahr 2019 rund 35,7 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als 1990. Die Gesamtemissionen 2019 seien gegenüber dem Vorjahr 2018 um fast 54 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (minus 6,3 Prozent) auf rund 805 Millionen Tonnen gesunken. Energiewirtschaft und Industrie konnten Emissionen einsparen, allerdings sind in den Bereichen Verkehr und Gebäude der Ausstoß gestiegen. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie seien nicht berücksichtigt, der Bericht umfasse Schätzungen bis Ende 2019, die genauen Zahlen gibt es erst im Frühjahr. Laut Bundesumweltministerium (BMU) könnte das 40-Prozent-Ziel noch erreicht werden, wenn die tatsächlichen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020 deutlich niedriger ausfielen.

In Deutschland ist Dezember 2019 das Klimaschutzgesetz in Kraft getreten. Mitte August hat die Bundesregierung einen unabhängigen Expert*innenrat für Klimafragen einberufen. Der Rat soll die vom Umweltbundesamt vorgelegte Abschätzung der Treibhausgasemissionen des Vorjahres prüfen sowie die Annahmen, die den Angaben zur Treibhausgasminderungswirkung von Sofortmaßnahmen und Klimaschutzprogrammen zugrunde liegen. Der Expert*innenrat wird Stellung nehmen, wenn die Bundesregierung die zulässigen Jahresemissionsmengen im Bundesklimaschutzgesetz ändert, den Klimaschutzplan fortschreibt und weitere Klimaschutzprogramme beschließt. Darüber hinaus können der Deutsche Bundestag oder die Bundesregierung den Expertenrat für Klimafragen mit der Erstellung von Sondergutachten beauftragen.

Kurz vor Veröffentlichung des Klimaschutzberichts 2019 hatte ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure die Nachschärfung der Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 gefordert. Die unter dem Dach des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) und der Klima-Allianz Deutschland organisierten Verbände warnten in ihrem Forderungspapier davor, angesichts der voraussichtlichen Erfüllung des Klimaziels 2020 die Hände in den Schoß zu legen. Die prognostizierte Minderung der Treibhausgasemissionen um tatsächlich 40 Prozent sei kein Ergebnis zusätzlicher klimapolitischer Anstrengungen, sondern die Folge des geringeren Energieverbrauchs im Zuge des milden Winters und des Einbruchs der Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie.

"Eine Wirtschaftskrise macht keinen Strukturwandel. Nur wenn wir heute die Weichen richtig stellen, hat Deutschland eine Chance, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Wir wissen bereits heute, dass das Klimaschutzprogramm 2030 weder für die derzeitigen Klimaschutzziele noch für ein höheres EU-Klimaziel ausreicht. Das Klimakabinett trägt nun die Verantwortung, Deutschland krisenfest zu machen. Dafür muss es das Klimaschutzprogramm zu einem Krisenschutzprogramm machen," mahnte DNR-Präsident Kai Niebert.


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