Toblacher Gespräche - Wie grün ist der Green Deal?
Der European Green Deal (europäischer Grüner Deal) ist ein von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Er ist ein großes Investitions-, Gesetzes- und Strategiepaket, mit dem viele Lebensbereiche klimafreundlich gestaltet werden sollen. Zum Beispiel die Landwirtschaft, der Verkehr, aber auch die Energiewirtschaft und das Bauwesen. Der Green Deal ist eine der sechs Prioritäten der Kommission von der Leyen.
Die Kuratoren Wolfgang Sachs und Karl-Ludwig Schibel führen hierzu aus:
Von der europäischen Umweltbewegung lang erhofft und den nationalen Regierungen jetzt von der Europäischen Kommission aufgezwungen, ist sie nun endlich da: die grüne Vision in der Politik Europas. Als die Präsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 den Green Deal präsentierte, konnte sie noch nichts von der COVID-19-Pandemie ahnen. Trotz des enormen Aufbauprogramms „NextGenerationEU“ vom Juni 2020, das helfen soll, die unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern, sollte sich für den Green Deal nichts ändern. Er zählt weiterhin zu den Prioritäten neben Gesundheit, Arbeitsplätzen und Digitalisierung.
Voraussichtlich werden dennoch die Strategien und Maßnahmen des Green Deal zu konkurrierenden Deutungen und zahlreichen Konflikten führen. Und das ist auch gut so - „Streit belebt das Geschäft“. Schon immer haben die Umweltprobleme in Landwirtschaft, Autoindustrie, Energiewirtschaft und Bauindustrie lokal und national für Auseinandersetzungen gesorgt; nun aber sind die Kontroversen letztendlich auf europäischer Ebene angekommen.
Dahinter besteht ein gemeinsames Anliegen: Die EU hat sich auf wirtschaftliches Wachstum verpflichtet und gleichzeitig auf die Achtung der europäischen Umweltziele, die sich aus den globalen Leitplanken herleiten, allen voran das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5 °C zu halten. Ist das zu vereinbaren? Lässt sich wirtschaftliches Wachstum vom Naturverbrauch derart entkoppeln, dass das Bruttoinlandsprodukt steigt, obwohl der Ressourcenbedarf drastisch sinken soll? Gewiss, wachsen sollen alle Sektoren, die der Nachhaltigkeit dienen – wie erneuerbare Energien, postfossile Mobilität, Biolandbau oder grüne Chemie. Aber schrumpfen müssen jene, die eine Gefahr für die Biosphäre darstellen – wie die fossil-energetischen, autoindustriellen und petrochemischen Komplexe. Es ist keineswegs sicher, dass die Summe der Wachstums- und Schrumpfungsprozesse zu einem dauerhaften aggregierten Wachstum führen werden. Oder wird der „European Green Deal“ nur in einer Postwachstumsgesellschaft wirklich grün?
Toblach
Südtirol Veranstaltungsnachlese